31.07.2020
Die Natur auch zu den Ärmeren bringen
SP-Spaziergang durch das renaturierte Tal der Demut.
Erich Gmünder, Text und Fotos
Rund 30 Interessierte aus der Stadt und der Region besuchten den Sommeranlass im Riethüsli und nahmen ein Auge voll mit von der Renaturierung des Weiherweidbaches. Sie erfuhren nicht nur viel Wissenswertes über die Entstehungsgeschichte dieses rund 0,5 Mio. Franken teuren Werkes, sondern machten sich auch Gedanken, wie die Natur vermehrt im Stadtraum integriert werden könnte.
Barbara Schibler vom Naturschutzverein St. Gallen und Umgebung (NVS) hatte das Projekt, das mit einer Jubiläumsspende des NVS angestossen wurde, eng begleitet. Sie schilderte die zahlreichen Herausforderungen bei der Umsetzung der Renaturierung des Weiherweidbachs.
„Wie viel Natur braucht eine soziale Stadt“ – so der Titel des Anlasses. Diego Moritzi und Cristina Bitschnau kandidieren ebenso wie die Riethüsler Organisatorin Heidi Kundela für einen SP-Sitz im Stadtparlament und regten die Teilnehmenden zu Überlegungen an, wie die Natur auch im Talboden der Stadt näher zu den Menschen gebracht werden kann und muss.
Auch ein Hochwasserschutzprojekt
Diego Moritzi, Geograf und Mittelschullehrer der Kantonsschule am Brühl, stellte ökonomische und soziale Aspekte zur Diskussion. Aus seiner Sicht ist die Renaturierung im Tal der Demut in erster Linie ein Hochwasserschutzprojekt, führte doch der Rückstau des eingedolten Bachs bei Starkregen oft zur Überflutung des Tennisplatzes und der Schiessanlage in St. Georgen. Die zunehmenden Starkniederschläge aufgrund des Klimawandels haben die Stadt bewogen, vermehrt Stauräume zu schaffen, um Hochwasserschäden zu vermeiden. Hier eigne sich das Tal der Demut, das beim GBS mit einem grossen Damm abgeschlossen ist, als riesiges Speicherbecken bei Hochwasserereignissen, um den Talboden inklusive der Kulturgüter zu schützen. In diesem Sinne seien die 490’000 Franken ein Klacks im Vergleich zu möglichen Folgeschäden.
Grünräume nur für die Reichen?
Neben den rein ökonomischen Interessen profitiere aber auch die Bevölkerung ganz direkt durch die Schaffung eines neuen Naherholungsraumes, wo Familien oder Grosseltern mit ihren Kindern spielen könnten. Allerdings, so zeigte Moritzi aufgrund verschiedener Statistiken auf, profitieren bisher von den Grünräumen vor allem jene, die bereits im grünen Ring leben: Die Reichen, die oft selber über private Grünräume verfügen oder direkten Zugang zur Natur in der Umgebung haben. Moritzi wagte die Aussage, dass diese von Wertsteigerungen ihrer Immobilie profitierten, wenn qualitativ hochstehende Grünräume vorhanden seien – meist werde halt Politik von den Begüterten für die Begüterten gemacht.
„Grüne Linien“ statt „grüner Ring“
Sein Fazit: Grünräume sollten überall gefördert werden, speziell im Innern und am Talboden, in Quartieren wie Lachen, St. Fiden oder dem Linsebühl. Im Lachen sei mit dem Burgweiherareal ein Anfang gemacht. Bei der Tunnelüberdeckelung in St. Fiden sollte auf Grünräume gepocht werden. Auch im Linsebühl gäbe es Potenzial, beispielsweise mit der schon lange geforderten Offenlegung der Steinach.
Die „Stadt des grünen Ringes“ sollte einer „Stadt der grünen Linien“ weichen. Einerseits, um aus ökologischer Sicht Vernetzungs- und Migrationsmöglichkeiten für Pflanzen und Tiere zu schaffen. Anderseits um die Natur auch den Menschen in den weniger begüterten Quartieren nahe zu bringen. Der Slogan „St. Gallen – die Stadt im grünen Ring, ist im Grunde ein Slogan für die Reichen. Denn sie sind es, die schön am grünen Ring wohnen und so ihr Naherholungsgebiet vor der Haustüre haben. Alle anderen müssen mit dem Bus die Hügel hinauffahren. Die Stadt der grünen Linien kommt allen zugute.“
Grünräume sichern das Überleben der Stadt
Cristina Bitschnau-Kappeler ist Umweltwissenschafterin und Geschäftsführerin des VCS St. Gallen/Appenzell. Sie machte sich Gedanken über die Funktion von städtischen Grünräumen und was einen wertvollen Grünraum ausmacht. Gerade die bauliche Verdichtung brauche Grünräume im direkten Wohnumfeld und nicht nur an den Rändern oder an zentralen Orten. Grünräume seien auch soziale Orte, wie Cristina Bitschnau am Beispiel der Gemeinschaftsgärten anführte.
Immer stärker bewusst werde der Beitrag von Grünräumen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Prognosen mit künftig bis zu 44 Hitzetagen und 50 Tropennächten riefen zwingend nach Kühlung durch Entsiegeln und Begrünung, damit die Städte weiterhin lebenswert bleiben. Und aus ökologischer Sicht gehe es darum, vernetzte Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu schaffen, durch die Pflanzung von einheimischen Wildblumen und Sträuchern als Nahrungsquelle und Nistplätze für Vögel und andere Kleintiere. Dazu brauche es nicht nur grüne Oasen, sondern schon mit einem Topf auf dem Fenstersims könne ein Beitrag geleistet werden.
„Mehr Grün steigert die Lebensqualität und ist ein wichtiger Baustein für eine lebenswerte Zukunft“, so das Fazit von Cristina Bitschnau. Die Stadt habe die Chance, eine grüne Stadt für die Zukunft zu gestalten.
Nach den Führungen lud die SP zum Ausklang in den Quartiertreff NestPunkt ein. Die coronabedingt weit auseinander stehenden Tische waren mit Blumen geschmückt und das gemütliche Ambiente regte zur Vertiefung der Diskussion an.
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Autor/in: Erich Gmünder | 31.07.2020 | Keine Kommentare | Tools: