8.09.2020
Seit 50 Jahren auf dem Unteren Brand
Familie Linder feiert ein seltenes Wirtejubiläum - ein Besuch auf der Ausflugsbeiz mit Biohof.
Er ist fast schon legendär: der obligate Händedruck der Wirtin Elisabeth Linder. Und genau darauf müssen die Gäste im Jubiläumsjahr verzichten – Corona ist schuld. Aber trotz diesen und weiteren Einschränkungen hat das Ausflugsrestaurant Unterer Brand nichts von seiner Gemütlichkeit und Anziehungskraft eingebüsst.
Erich Gmünder, Text und Fotos
Wenn man Elisabeth Linder und ihren Bruder Andreas, der vom Vater die Landwirtschaft übernommen hat, fragt, was die Leute hier oben suchen, müssen sie kurz überlegen. Die Ruhe abseits der Hektik? Das ländliche Idyll so nahe bei der Stadt? Das gemütliche Gartenrestaurant unter den Kastanienbäumen? Oder dass man hier ungestört feiern kann und sich keine Nachbarn beschweren – weil es die hier schlicht nicht gibt.
Vielleicht, so sagen sie, ist es auch die Tatsache, dass die Wirtsleute hier nicht alle paar Jahre wechseln und man stets willkommen ist, an sechs Tagen die Woche und das beinahe das ganze Jahr hindurch. Nur während der Olma werden die Läden geschlossen. Ferien sind ein Fremdwort: In jenen Wochen wird alles nachgeholt, was unterm Jahr liegen geblieben ist. Ebenso wie Freizeit: Von klein auf halfen die beiden in jeder freien Minute im elterlichen Betrieb mit.
Früh fremde Luft geschnuppert
Schon früh war der jungen Elisabeth klar, dass sie in die Gastronomie einsteigen würde. Sie wollte nach der Maitliflade eine Kochlehre in der Innerschweiz absolvieren, als der älteste Bruder Hanspeter auf seinem Lehrbetrieb im Schaffhausischen tödlich verunglückte. Um ihrer Familie nach dem Schicksalsschlag nahe zu sein, suchte sie eine Lehrstelle in der Nähe – was für ein Mädchen damals schwierig war, Koch war ein typischer Männerberuf – und bekam diese schliesslich im Ausflugsrestaurant Peter und Paul.
Danach folgten Saisonstellen im Hotel Waldhaus in Sils Maria oder in Davos, anschliessend acht Monate in einem Hotelgrossbetrieb in den USA in New Glarus, rund 2,5 Stunden von Chicago entfernt, und unweit davon in einer von Schweizern betriebenen Käsefabrik, wo sie gleich auch den Haushalt des Chefs führte. Zurück in heimatlichen Gefilden, absolvierte sie die Wirtefachschule und stieg 1988 in den elterlichen Betrieb ein. Andreas, der jüngste Bruder, übernahm nach der landwirtschaftlichen Schule Flawil den Betrieb von seinem Vater, den dieser schon früh auf biologischen Landbau umgestellt hatte.
Man hilft sich gegenseitig
Heute arbeiten die beiden Geschwister Hand in Hand, halt so, wie sie von klein auf gewohnt sind. Wenn Not am Manne ist, hilft Andreas im Service aus, sie tränkt schon mal die Kälbchen oder hilft bei anderen Arbeiten, wenn es die Zeit zulässt. Den Kochlöffel nimmt sie nicht mehr so oft zur Hand, ein festangestellter Koch wirkt in der Küche, und eine junge Frau unterstützt das Team.
All die Jahre hat sich ein treuer Kundenstamm aufgebaut. Es gibt Familien, die sich hier traditionell zu Geburtstagen, Hochzeiten, Erstkommunion oder Trauerfeiern zusammenfinden, und das schon in zweiter Generation.
Beliebt bei Gruppen ist der «Puurezmorge» oder das «Gschwellte»-Buffet. Naheliegend, dass dabei ein grosser Teil der Rindfleischprodukte vom eigenen Biohof stammt, verarbeitet von einem Metzger im Toggenburg. Besonders beliebt sind der Siedfleisch-salat, die Siedwürste oder auch neuere Kreationen wie «Füürtüüfel» und «Knobliwürste».
Eine Familiengeschichte
Die Wirtsgeschichte der Linders begann am 1. April 1970. Hans und Elisabeth Linder – er von Walenstadt, sie von Steinenberg SZ – hatten zuvor Pachtbetriebe in Menzingen und St.Gallen bewirtschaftet, als sie auf die Pacht der Ortsbürgergemeinde im Unteren Brand stiessen. Mutter Elisabeth, die etwas Erfahrung als Aushilfskraft im Service mitbrachte, sei skeptisch gewesen, hätte sich aber gefügt. Der Umzug mit Vieh und Fahrhabe von Birnbäumen in den Unteren Brand sollte traditionell und festlich werden, mit Appenzeller Sennen in Trachten. Wegen eines starken Unwetters musste der ganze Umzug wieder umkehren, erinnert sich Elisabeth. Sie sei damals sieben Jahre alt gewesen und «pflotschnass» geworden, erzählt sie schmunzelnd. Das Vieh wurde später im Transporter gezügelt.
Freude an Betrieb weitergegeben
Hans Linder, ein typischer Land- und Gastwirt alter Schule (von ihm hat die Wirtin auch den Handschlag «geerbt») und leutseliger CVP-Stadtpolitiker mit kernigem Oberländer Dialekt, hat sich in den letzten Jahren zurückgezogen, die Mutter, die den Gastbetrieb jahrzehntelang führte, ist vergangenes Jahr gestorben. Ihre Freude an Land- und Gastwirtschaft haben sich nicht nur auf Elisabeth und Andreas übertragen. Die Schwester hilft jeweils bei Stosszeiten im Betrieb mit. Der Bruder machte im Ausland Karriere als Hotelmanager, er führt heute ein Hotel in Griechenland. Wer die Familiengeschichte einmal weiterführt, ist vorläufig noch kein Thema. Linders sind froh, dass sie trotz Corona gut über die Runden gekommen sind und weiterhin auf treue Stammkunden zählen dürfen.
Das einzige, was sie heute manchmal etwas vermissen: Spontane Feste gesangesfreudiger Gäste bis zum Morgengrauen. Freinächte gebe es heute kaum mehr, alle müssten zeitig heim, und gesungen werde schon gar nicht mehr.
Öffnungszeiten: täglich. Donnerstag Ruhetag
Unterer Brand
Gemäss Ortsnamenbuch geht der Name Brand von der Urbarmachung durch Brandrodung zurück, wie er früher auch in unseren Breitengraden gebräuchlich war. Forstarbeiter, so Elisabeth und Andreas Linder, hätten ihnen vor vielen Jahren erzählt, sie hätten in der Umgebung tief im Waldboden noch Kohlenreste aus alter Zeit gefunden, was die These bestätigen dürfte.
Autor/in: Erich Gmünder | 8.09.2020 | Keine Kommentare | Tools: