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18.02.2009

Als die Riethüsler noch nach St. Georgen in die Schule mussten

Erika Mangolds Erinnerungen an die Schulzeit in den 30er-Jahren. Teil 1.

Das 1904 eingeweihte Hebelschulhaus noch ohne den Erweiterungsbau von 1921/22.

Erika Mangold (Der Beitrag erschien in der Quartierzeitung Riethüsli-Magzin fürs Nest 1/2009)

Gegen halb Acht kamen sie von allen Seiten – vom Nestweiherquartier, von der Hochwachtstrasse, vom Oberhofstetten, Im Grund und Zentrum bis hinunter zur Liebegg, wo damals noch ein Weiher war – die Primarschüler vom oberen Riethüsli, die das Glück hatten, nicht in das Schulhaus St. Leonhard gehen zu müssen.

Die Angst vor dem «Schlunggi»

Treffpunkt war das damalige Tramhüsli. Aber nicht für lange. Man wurde ja nicht gerne als «Buebe- oder Meitlihocker» abqualifiziert. Wenn kein Polizist in Sicht war, bedeutete das: «keine Gefahr». Wir konnten das Tal der Demut problemlos hinter uns bringen. Stand der Polizist aber beim Tramhüsli, begleitete er uns über die «gefährlichen Stellen», dort, wo der Wald bis an die Strasse reichte. Die Gefahr drohte aber nicht vom Verkehr, die Pferdefuhrwerke und die paar wenigen Autos waren kein Problem. Wir vermuteten vielmehr, dass im Wald ein «Schlunggi » war (ein Unhold), der uns Kindern nachstellen wollte. (Viel später, ich war schon erwachsen, «schnäderte» ich einmal nach der Kirchenchorprobe beim Wetterwegli noch mit einer Kameradin, als ein Polizist vorbeiging und dann tatsächlich am Ende der Häuserzeile auf mich wartete. Es sei, wie er sagte, wieder einmal «nicht geheuer»).

Erika Mangold (links) chauffiert ihre kleine Schwester Ruth mit dem Dreirad.

Schnatternde Nachbarn

Mein Schulweg führte dem Nestweiher entlang. Ein etwa 300jähriges Haus direkt am Weiher verdeckte die direkte Sicht von unserem Haus aus. Trotzdem fingen die Schwäne, Enten und Gänse an, sich lautstark «zu Wort» zu melden, sobald sie nur schon hörten, wie ich die knarrende Gartentüre öffnete. Sie begrüssten mich mit lautem Geschnatter, sobald sie mich sahen. – Als ich einmal den Weiherwart fragte, wer denn eigentlich die Nestweiher-Gesellschaft sei, gab er keine Antwort. Ein Schulkind hatte solches nicht zu fragen. (Viele Jahre später erfuhr ich, dass diese Gesellschaft schon 1926 gegründet worden war und nur aus dem Vorstand bestand. Zum 70jährigen Bestehen – inzwischen war ich als erste Frau im Vorstand und Präsidentin – trug ich aufgrund verschiedener vorhandener Dokumente alles zu einem Büchlein zusammen. Der damals amtierende Quartiervereinspräsident – ein begabter Layouter – gab ihm den sinnvollen Namen: «Der Nestweiher und seine Gesellschaft.»)

St.Georgen vom Alther-Gut (Kachelweg 12) aus 1888

Caramelduft statt Bohnerwachs

Ein Geruch im Hebelschulhaus ist mir in Erinnerung geblieben. Nicht etwa ein muffiger, sondern der nach Caramel-Bouchées. Wenn der Westwind wehte (von der nahen Schokoladefabrik Maestrani, Red.), roch es sehr fein. Wir Kinder sogen den Duft so lange ein, bis Herr Bieri, unserer Lehrer, befahl, die Fenster zu schliessen. Trotzdem wirkte der feine Geruch noch eine Zeitlang nach.

D’ Luustante

Sie kam etwa zweimal im Jahr und hiess Frau Häfeli. Wir Mädchen wurden einzeln von unserem Lehrer in den Estrich geschickt, wo sie ihres Amtes waltete. Mit langen Nadeln fahndete sie nach allfälligen «Bewohnern». Die Buben mussten diese Prozedur nicht mitmachen, weil damals bei ihnen ein militärisch kurzer Haarschnitt Mode war. (Wir waren übrigens eine reine Mädchenklasse, wohl weil Herr Bieri hoffte, eine ruhige Kugel schieben zu können. Er hat sich getäuscht! Die Buben des gleichen Jahrgangs kamen zu Herrn Wüest). Bei uns war es so, dass Schülerinnen, die Läuse hatten, einen Brief nach Hause nehmen mussten, mit Ratschlägen zur Bekämpfung der «Mitesser».

Als ich einmal wunderschöne Ferien im Jura bei Verwandten – kleinen Bauern – verbracht hatte, trug ich, ohne es zu wissen, neben dem Gepäck auch Läuse mit nach Hause. Die Laustante zwang mich, sie zwischen den Daumennägeln zu zerquetschen, samt den Nissen (Eiern). Einen Brief bekam ich nicht, wohl weil mein Vater Herrn Bieri gut kannte. Zu Hause erhielt ich den Auftrag, Sabachill-Essig in der Drogerie zu holen. Damit wurde mein Kopf während mindestens drei Nächten nass gemacht und eingebunden. Als ich nach mehreren Wochen die Laustante wieder im Schulhaus sah, wurde es mir richtiggehend schlecht, weil ich gar nicht sicher war, ob sie wieder etwas finden würde. Bis ich an der Reihe war, musste ich draussen unter die Linde auf dem Schulhausplatz warten und harrte die ganze Stunde aus. Als die Glocke 12 Uhr läutete, war ich «erlöst». Meine Mitschülerinnen hatten, während ich draussen bleiben musste, eine Klausur zu bestehen und verdächtigten mich, es geahnt zu haben. Dabei hätte ich das gar nicht nötig gehabt, denn Schweizergeschichte war mein Lieblingsfach.

Unsere Lehrerinnen

Je zwei Lehrerinnen hatten die Aufgabe, uns Erstgixen die fundamentalen Fächer wie Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen: Hongler/Müller im Parterre und Saxer/ Pfister im 1. Stock. Mich «preichte» es dabei in der letzteren. Unser «Fräulein Pfister» – damals war eine Alleinstehende keine «Frau» – hatte oft schriftliches Rechnen auf die letzte Vormittagsstunde vorgesehen.

Was sich neckt…

Wer seine Arbeit fehlerlos gemacht hatte, durfte nach Hause gehen. Das traf bei mir fast immer zu. Ebenso auf Max Kaufmann. Der konnte jedoch nichts mit Mädchen anfangen und verprügelte mich immer – als Mädchen hatte ich keine Chance. Da verlegte ich mich auf Spottgedichte – Vierzeiler mit Ausdrücken aus der Zoologie. Als das unserer Lehrerin zu Ohren kam, musste ich mein Sprüchlein jeden Morgen aufsagen. Das rief Max auf den Plan. Er wollte auch gehört werden. So wurden wir die besten Freunde. Wir mussten von nun an nur noch so tun, als ob wir uns nicht mochten – wir wollten nicht ja nicht als Buebe- oder Meitlihocker verschrien werden. Wir trafen uns oft heimlich an freien Nachmittagen, stellten aus einem Blatt Seidenpapier und einer leeren Zündholschachtel Fallschirme her und liessen sie vom Dachstock aus fliegen. In der dritten Klasse zogen seine Eltern nach Weinfelden. Wir hatten beide Tränen in den Augen, als wir uns voneinander verabschiedeten. Ich habe nie mehr etwas von Max gehört. (Fortsetzung folgt)

Erika Mangold erinnert sich an ihre Jugendzeit im Riethüsli, als die Kinder vom oberen Quartierteil noch nach St. Georgen in die Schule gehen mussten. Der lange Schulweg war zwar oft anstrengend, bot aber auch viel Abwechslung und Abenteuer. – Einige dieser Reminiszenzen hat Erika Mangold, die ehemalige Präsidentin der Nestweihergesellschaft und langjährige Redaktorin unserer Quartierzitig, in den letzten Wochen vor ihrem Tod noch für die Nachwelt aufgeschrieben. Hier der erste Teil ihrer Erinnerungen an die Schulzeit in den Dreissigerjahren. EG

Hier geht es zu Teil 2 der Jugenderinnerungen von Erika Mangold

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