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17.07.2017

Im Gespräch mit Daniel Mata MATATOUILLE

Aufgefallen: Unser Schnitzelbänkler Dani Mata.

Unser Quartierschnitzelbänkler Dani Mata. Foto: Michel Canonica, Tagblatt

Mitten im Quartier Riethüsli wohnt Dani Mata, Sekundarlehrer und Kunstschaffender. Was er gestaltet, ist speziell, nicht nur mit seinen Künsten, sondern auch mit spitzer Zunge, wenn er als Schnitzelbänker unterwegs ist.

Martin Wettstein

Nein, Sie haben schon richtig gelesen. «Matatouille». Der Computer fragt mich zwar höflich: «Meinten Sie Ratatouille?». Nein, meinte ich nicht. Ich meinte wirklich «Matatouille».

Mitten im Riethüsli, der 10er-Bus fährt fast vor die Haustür, wohnt Dani Mata mit seiner Frau Sandra und den beiden Buben Marvin und Timon.

Im Telefonbuch eingeklemmt zwischen Masurica und Matasarevic: Mata Daniel. – Dani, wie er sich selber nennt. Sekundarlehrer sprachlicher Richtung, bildender Künstler (äxgüsi: heute sagt man «Kunstschaffender»), Kunst-vermittler, Selbst-Sucher, Schnitzelbänkler an der Sankt Galler Fasnacht … und dort eben unter dem Pseudonym «Matatouille».

Szia, Dani! Vor dem Auftritt in einer Fasnachts-
Beiz hört man ihn plötzlich mit jemandem vom Küchen- oder Service-Pesonal, wie etwa mit dem Kellner in der «Alten Post», Sätze wechseln wie diese:

Kellner: «Szia, Dani! Szeretnél valamit inni?»

Dani: «Kérnék szépen egy kis fehér bòrt.»

Und was soll das heissen, um Gottes willen?

«Hallo Dani. Möchtest du etwas trinken?» – «Ich hätte gern ein bisschen Weisswein».

Ungarisch, offenbar. Aha. Aber wie kommt ein normal sanggallerdeutsch Sprechender dazu, ungarische Sätze von sich zu geben?

Ungarn und St.Gallen. Das ist eine lange Geschichte. Ungarn und St.Gallen; da gibts mindestens drei geschichtliche Episoden, wie die Älteren unter uns vielleicht noch wissen.

Eine erste: Hauen und Stechen. Ungaren dringen im frühen Mittelalter kriegerisch nach Westen vor. «Landnahme» nennt man das. Auch ins winzige Städtchen St.Gallen fallen sie im Jahr 926 ein, fackeln das Galluskloster ab und schlagen die fromme Reklusin Wiborada tot.

Eine zweite: diesmal eine sportliche. Aber auch die endet für St.Gallen mit einer doch auch ein bisschen grausamen Niederlage. 1954, das heisst vor genau 60 Jahren, trifft die ungarische Fussball-Nationalmannschaft im guten alten Espenmoos auf den FC St.Gallen, 7000 Zuschauer, zu einem Vorbereitungsspiel für die im gleichen Jahr stattfindende WM im Berner Wankdorf-Stadion. Schluss-Resultat: 10 zu 0 für Ungarn …

Und die dritte Episode, auch sie grausam, aber für die Ungarn: 1956 schlagen russische Panzer-Truppen einen demokratischen Volksaufstand in Ungarn blutig nieder (Wir erinnern uns an die beiden nachher hingerichteten Imre Nagy und General Pál Maléter, auch an Kardinal József Mindszenty).

Etwa 200 000 Einwohner verlassen ihre Heimat und fliehen in den Westen, unter anderem auch nach
St.Gallen.

Sechsundfünfziger in St.Gallen. So gelangen schliesslich bei Nacht und Nebel und auf Umwegen auch Dani Matas Eltern in unsere Stadt. Zehn Jahre später wird Dani hier geboren, spricht ausser Haus und in der Schule deutsch, ungarisch aber vor allem mit seiner Mutter und mit seiner Grossmutter, die in Ungarn geblieben ist.

Bilingue also. Das ist er heute noch. –

Wohngegend der Eltern zunächst: Obere Wildegg-­Strasse. «Dort, wo sich Kühe und Rehe gute Nacht sagen», meint Dani. Nach der Primar- und Sekundarschule wollte er eigentlich den gestalterischen Vorkurs für die Kunstgewerbeschule der GBS machen, wurde aber von seiner Mutter in die Kanti hinein-komplimentiert (wo sein Vater Stefan bereits seit 1960 Sportlehrer war). Mit dem Matura-Zeugnis (erworben mit Zähneknirschen, aber mit Note 6 in «Zeichnen»), trat er dann «ins Leben hinaus», das heisst in die Pädagogische Hochschule (PHS).

Armee, Stiftsbibliothek, Flade, Fasnacht. Schon bald der unvermeidliche Militärdienst. In einem WK hat er sich dann allerdings von der Armee abgemeldet und den Vierfrucht-Pyjama ausgezogen. Das hiess gleichzeitig: Zivildienst. Dieser Zivildienst, obwohl länger als der Militärdienst, war für ihn keineswegs ein «Zuvieldienst», sondern er bot ihm eine kuriose, nachträglich gesehen glückliche Chance (Halten Sie sich fest!): Dienst in der Stiftsbibliothek St.Gallen! Verschiedenste kleine und grosse administrative Arbeiten. Und das Tor zur späteren Berufsausübung gleich nebenan: die Flade. Anstellung als Lehrer Phil. I (nach fünf Jahren unterrichten in Wil).

Seither arbeitet er dort. Er begann als Klassenlehrer in neun Fächern, übernahm aber 2007 die Stelle des Zeichnen- und Werklehrers.

Ausschliesslich mit «Jungs», wie er sie nennt. Ausschliesslich? Nein: In einem Fach sind auch Mädchen von der Moosbruggstrasse dabei: im «Werken». Werken, Gestalten – das hatte ihn schon lange fasziniert.

Ein überraschender Ausdruck davon: das Erfinden der jährlich neuen Figur für die Schnitzelbänkeleien an der Sanggaller Fasnacht. Einmal tritt er auf als Maître de Cabine, andere Jahre als Zöllner, Engel, Banker, schwarz-afrikanischer Appenzeller im traditionellen Hääss. Dieses Jahr als umwerfender, deutsch-radebrechender Holländer mit hell-rötlichem nordischem Haar. Verse mit geistreichen Sprüngen, wie etwa 2013:

De Gérard seit zum Hollande: «Mössiö,

isch bin doch kein Depp – Adieu!»

Denn bruucht jo s’Kino im Frankeland

i Zuekunft au kei Breit-Linwand.

Oder:

1741: Wegel-in

2012: Wegel-out.

Aber die eigene Schulung im Gestalten wollte er wieder aufnehmen. Die Höhere Fachschule für Bildende Kunst schreibt einen dreijährigen, berufsbegleitenden Kurs aus. Dani Mata meldet sich an, vor drei Jahren; profitiert von der Grosszügigkeit von Schulrat und Flade für die Reduktion seines Schulpen­sums. Er schliesst den Kurs letztes Jahr ab. Macht eine Ausstellung, gewissermassen als Dank für die drei Jahre. Grosse Besprechung in St.Galler Tagblatt.

Wer bin ich? Seither ist er, neben und in seinem normalen Flade-Pensum, auch Praktikumsleiter an der PHS für C-Fächer («Bildnerisches Gestalten»).

Was bedeutet es für ihn, letztendlich, dieses Gestalten? Viele Antworten, die er zögerlich probiert:

Sich selber suchen und sich vielleicht kennenlernen. Lernen, eine eigene Sprache zu entwickeln zu Dingen, die ihn beschäftigen; Licht und Schatten; das Gestalten erleben als Kampf und «Chrampf».

«Switchen» nennt er es (wenn das Wort nicht etwas verbraucht wäre, möchte man einwerfen). Switchen zwischen Philosophie und Alltag, zwischen Ich und Ich. «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?» (so der bekannte Titel eines Philosophiebuches), wechseln zwischen Hell und Dunkel … und warum nicht auch zwischen Ungarisch und Deutsch, von Jahr zu Jahr zwischen erfundenen Fasnachts-Figuren …

Also doch ein bisschen Ratatouille? –

Nein: Matatouille.