17.09.2020
Der Strassenbauer und sein Traumberuf
Ismail Bektheshovski - eines der Gesichter der Baustelle an der Teufener Strasse.
Er ist zwar kein Riethüsler, aber er hat in den letzten vier Monaten mitgeholfen, das Erscheinungsbild unseres Quartiers für die nächsten Jahrzehnte entscheidend mitzuprägen: Ismail, Vorarbeiter der Strassenbaufirma Toldo AG über sein Leben, seine Träume – und seinen Bezug zum Riethüsli.
Erich Gmünder
Rund zwei Dutzend Arbeiter im orangen Tenü waren die letzten anderthalb Jahre an der Teufener Strasse im Einsatz, bei klirrender Kälte, brütender Hitze, bei Regen, Wind und flirrender Sonne. Einer ist mir besonders aufgefallen: Beim «Znünikafi» im Schwyter brachte er die Runde zum Lachen oder politisierte frisch drauflos. Am Morgen war er regelmässig schon vor sieben Uhr auf dem Platz anzutreffen und arbeitete oft noch eine Stunde über den Arbeitsschluss hinaus. Und immer wieder sah man ihn im Gespräch mit Anwohnern oder wie er einer älteren Fussgängerin bei einer unübersichtlichen Baustelle charmant über die Strasse half.
Im Schwyter erzählt er mir an einem regnerischen Samstag seine Lebensgeschichte. Aufgewachsen ist Ismail (seinen Familiennamen muss er mir buchstabieren, weil er etwas schwierig zu verstehen ist: Bekteshovski) in Mazedonien, in Zeiten des kommunistischen Jugoslawien unter dem Staatspräsidenten Tito, als Jüngster zusammen mit drei Brüdern und zwei Schwestern. Die Zeiten waren gut, der Vater hatte eine sichere Stelle und konnte ein Haus bauen. Seine Brüder arbeiteten auf dem Bau, Ismail absolvierte das Gymnasium und machte die Matura und wollte Arzt werden.
Traumberuf Arzt
Die Brüder waren stolz auf ihren Jüngsten und wollten ihm das Studium finanzieren. Doch als er nach dem obligatorischen Militärdienst seine mittlerweile in die Schweiz emigrierten Brüder besuchte und sah, wie hart sie arbeiten mussten, entschied er sich anders: Dass sie ihn zehn Jahre lang unterstützen sollten, mit wenig Aussicht, ihnen dies bei einem damaligen Arztlohn von umgerechnet rund 500 Franken je zurückzahlen zu können, das liess sein Stolz nicht zu.
So emigrierte er 1989 als 21-Jähriger ebenfalls in die Schweiz und trat eine Stelle in einer Strassenbaufirma an. Die ersten neun Jahre war er Saisonnier, seine Frau lebte mit seinen beiden Söhnen, die 1992 und 1997 geboren wurden, in Mazedonien. Mit 35 (!) konnte er die zweijährige Lehre als Strassenbauer absolvieren, mit Berufsschule und Kursblöcken in Sursee, einige Jahre später folgte die Ausbildung als Vorarbeiter. Ein Höhepunkt war 2007, als seine Frau mit den beiden Söhnen endlich in die Schweiz kam.
Hier lernte er auch das Riethüsli kennen, als der jüngere die Integrationsklasse bei Daniela Müller besuchte. Dank ihr sei der Bub so gut herausgekommen, mit viel Herzblut habe sie sich der Kinder angenommen, schaut er dankbar zurück. Auf die beiden ist er stolz: Der ältere machte die Lehre als Automechaniker und ist heute Buschauffeur bei der VBSG, der jüngere arbeitet bei der Baubewilligungsbehörde einer Ostschweizer Gemeinde.
«Ich wollte, dass die Kinder wissen, wo unsere Zukunft ist, wir gehören hierher.»
Für ihn war bald klar, dass die Schweiz auch der Lebensmittelpunkt für seine Söhne werden sollte. Deshalb bewarb er sich für die Einbürgerung und brachte das zweijährige Prozedere 2011 erfolgreich mit dem Schweizer Bürgerrecht zum Abschluss. «Ich wollte, dass die Kinder wissen, wo unsere Zukunft ist, wir gehören hierher.» In Mazedonien, mit einer Arbeitslosigkeit von rund 40 Prozent, hätten die Jungen keine Chance. Die Sozialleistungen reichten knapp zum Überleben. Ein Haus zu bauen, wie dies seinem Vater noch möglich gewesen war, käme schon gar nicht in Frage. Er selber schaffte es zusammen mit seiner Frau, auch diesen Traum zu realisieren: Die Familie wohnt in einem Doppeleinfamilienhaus im Wolfganghof, inmitten von Ärzten, Juristen, Beamten.
Leiser Stolz schwingt mit, als er dies erzählt. Die Schweiz biete jenen, die arbeiten wollten, viel. «Ich habe von der Schweiz viel bekommen. Hier hat man die Möglichkeit, zu arbeiten, zu leben und sich als Mensch zu fühlen.»
Als Chef ist es ihm wichtig, verlässlich zu sein, freundlich, flott. Sowohl was den Arbeitseinsatz angeht, aber auch als Mensch: «Fluchen und Schimpfen ist nicht meine Art. Lieber bringe ich die Leute mal zum Lachen. Mein Führungsprinzip ist: Ich möchte, dass meine Kollegen mich sympathisch finden, dass sie sich wohlfühlen und am Morgen mit Freude zur Arbeit kommen.»
Dem früheren Berufswunsch hängt er nicht nach. «Ich bin zufrieden und bereue nichts.» Im Strassenbau hat er seine Berufung gefunden. Oft habe er mit seiner Familie in der Freizeit die Baustellen besucht. «Es ist doch schön, 20 Jahre später sagen zu können: Schaut mal, beim Bau dieser Strasse war ich dabei.» Deshalb kann er jungen Leuten den Beruf des Strassenbauers auch empfehlen, biete er doch eine vielseitige Arbeit und gute Aufstiegsmöglichkeiten, wenn man gewillt sei, sich weiterzubilden.
Nach Mazedonien zieht es ihn heute nur noch ferienhalber oder um seine Mutter (81) und die beiden Schwestern zu besuchen. Dieses Jahr war das wegen Corona sowieso nicht möglich, und Sommerferien standen wegen der Baustelle im Riethüsli nicht auf dem Plan.
Das Elternhaus wird er einst erben. Für immer zurückkehren wird er nicht mehr. Nach der Pensionierung hat er andere Pläne: Zusammen mit seiner Frau im Camper Europa bereisen – und vielleicht Enkel hüten. Bis dahin sind es aber noch 13 Jahre, in denen sein Herzblut in den Beruf fliesst.
«Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen, ich bin eben ein passionierter Büezer.»
Magazin Riethüsli September 2020
Autor/in: Erich Gmünder | 17.09.2020 | Keine Kommentare | Tools: