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27.07.2023

Das falsche weisse Stängelbecherchen

Was es mit der radikalen Abholung im Berneggwald auf sich hat.

Fotogalerie: So sah der Berneggwald am 24. Februar 2023 aus. 

Was für ein merkwürdiger Titel eines Artikels in diesem normalerweise seriösen Magazin! – Das weiss doch kein Mensch im Riethüsli (ich wusste es zunächst auch nicht), was das sein soll, ein «falsches weisses Stängelbecherchen».

Text: Martin Wettstein, Fotos: Erich Gmünder

Urban Hettich, Leiter des Geschäftsbereichs «Forst und Natur» der Ortsbürgergemeinde St. Gallen, weiss es natürlich und hat mich aufgeklärt.

Ausgangspunkt: Die umfängliche Baumfällaktion zu Beginn dieses Jahres auf der Hinterseite (der Stadt abgewandten Seite) des Bernegg-Waldes, zur Hauptsache im Revier gegenüber der GBS.

Viele Spazierende und Joggende im Tal der Demut und oben im Wald mögen sich gefragt haben, was denn eigentlich der Grund für diese Baumfällarbeiten gewesen sei (auch wenn deren Notwendigkeit auf kleinen Plakaten am Eingang der Waldwege einleuchtend angezeigt war).

Ein schlimmer Anblick. Wir waren doch seit Eichendorff auf den ewig wohlbehaltenen Wald eingestimmt:

«O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald…»

So beginnt eines seiner bekanntesten Gedichte.

Weite Täler, die haben wir ja in St. Gallen. Die Stadt ist ein langgezogenes eiszeitliches Tal. Dann sind da ja auch das en­gere Sittertal, das Wattbachtal. Und ebenso natürlich das Tal der Demut. Wo Täler sind, gibt’s selbstverständlich Höhen. Aber wie steht’s mit dem «schönen grünen Wald»?

Der genannte Teil des Berneggwaldes ist jetzt leider nicht mehr so schön und so grün wie die deutschen Eichendorff-Wälder im 19. Jahrhundert, sondern eher unschön, abgeholzt; die gefällten Stämme lagen kreuz und quer auf dem steilen Waldabhang und unten an der Strasse dann teilweise auch schon in Reih und Glied aufgeschichtet für den Abtransport in verschiedene Sägereien.

Urban Hettich hat mich bei einem Gang durch den Schau­platz und auch später bis ins Detail orientiert. Archivaufnahme

Es ist so: Gefällt werden mussten zur Hauptsache fast alle Eschen, die in diesem Waldabschnitt wuchsen. Viele davon riesig und weit über hundert Jahre alt. Diese Eschen sind seit einiger Zeit von einem Pilz befallen, der offenbar aus dem asiatischen Raum eingeschleppt worden ist. Und die­ser Pilz (in der Fachsprache eben «falsches weisses Stän-gelbecherchen») macht die Eschen krank, befällt vor allem ihre Blätter und bringt die Baumkrone nach und nach zum Absterben. Genannt wird die Krankheit «Eschenwelke». Urban Hettich: «Von der Eschenwelke sind schweizweit über 90% der Eschen betroffen. (…). Es ist also eine Frage der Zeit, bis wir fast keine Eschen mehr in unseren Wäl­dern haben werden.» Als Folge des Befalles mit der Eschen-welke sind die Eschen oft so stark geschwächt, dass sie zu­sätzlich von verschiedenen Hallimasch-Arten (ebenfalls Pilze) befallen werden. Dadurch werden sie dann schnell instabil und drohen umzustürzen.

Mit dieser Eschenwelke haben auch unsere benachbarten Länder grosse Probleme. Offenbar kann sich diese Pilz-krankheit sehr schnell ausbreiten, und weitere Eingriffe könnten vielleicht in unserer Gegend schon bald wieder nötig sein, und zwar nicht nur im Berneggwald.

Gefällt mussten übrigens ebenfalls einige Buchen. Auch sie sind teilweise durch verschiedene Krankheiten geschwächt und stellten ein Risiko für Waldbesucher dar.

Zu warme und zu trockene Sommer machen die Bäume generell anfällig für Krankheiten aller Art. – Das Wort «Kli­mawandel» muss hier nicht wiederholt werden.

Die im Berneggwald entstandenen Lücken werden sich mit Naturverjüngung, das heisst mit Bäumen, die sich aus Sa­men entwickeln, wieder schliessen. Falls dies wider Erwar­ten nicht passieren würde, müssten Bäume nachgepflanzt werden. Hettich zählt auf, welche Baumarten zum Beispiel als Ersatz infrage kämen: Bergahorn, Spitzahorn, Winter­linde, Douglasie, Vogelbeere, Mehlbeere, Eisbeere.

Auf meine naive Frage, wie lange es ungefähr dauern wür­de, bis das heutige Waldbild hier im Berneggwald wieder­hergestellt wäre, schätzt er: ungefähr achtzig Jahre. – Das würden die Leserinnen und Leser dieses Magazins und auch der Schreibende leider kaum mehr erleben. Schad! Aber eine Verdoppelung unserer Lebenserwartung muss ja auch nicht unbedingt sein.                                                        •

Riethüsli-Magazin Juni 2023

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