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6.04.2023

Gärtnern im Rank

Saisonschluss im Familiengarten Ruckhalde.

Die Osterzeit und die wärmeren Temperaturen locken ins Freie und auch in den Gärten beginnt das Leben wieder. So auch in den Familiengärten in der Ruckhalde. Wir machten dort  Ende Jahr einen Besuch am Ende der Saison.

Martin Wettstein, Text/ Erich Gmünder, Fotos

Bis vor nicht langer Zeit ist allen, die mit der Appenzeller Bahn in die Höhe hinauffahren wollten, nach Gais, Appenzell…, noch der enge Rank des Bahn­trassees vor dem Riethüsli in Erinnerung. Ein «Rank», von dem man behauptete, er sei der engste (Rank einer Zahnradbahn) von ganz Europa …oder vielleicht der Welt? (die Franzosen hätten gesagt «de la planète»). Ein Naturereignis, geeignet für eine Nummer von Emil: «Lueg, jetz muesch denn luege, jetz chonnt er denn, lueg emol, jetz chonnter, de Rank, jo, jetz simmer drinn, jetz lueg emol daas aaa!».

Vor lauter Schrebergärten den Weltwunder-Rank nicht mehr sehen, müsste man heute sagen. Denn seit dem Bahn­tunnel besteht die Kurve nur noch in unserem Gedächtnis. Aber wenigstens auf dem grasüberwachsenen, alten Trassee kann man heute noch nostalgisch gemütlich in die Stadt hinunterspazieren, vorbei an den vielen Ruckhalden-Gärten, die seit 75 Jahren im Rank bebaut werden. Früher sagte man «Schrebergarten»; heute nennt sie die amtliche Stadtverwaltung offiziell «Familiengarten».

Von ihnen soll hier die Rede sein. «Was? Im Dezember? Wo diese Gärten ja ihre hohe Zeit im Frühling und Sommer haben?» – Ja, warum nicht? Das nennt man «antizyklisch». Achtzehn Familiengärten-Areale gibt’s in unserer Stadt, vom Riederenholz im Osten bis zum Bildweiher im Westen. Unser Areal wird auf dem Stadtplan als «berggängig» beschrieben, seine Parzellen müssen deshalb terrassiert sein. Das bedeutet: Mehr Belastung natürlich für Rücken, Beine, Arme… Aber die gluschtig-farbige Internet-Darstellung streicht dafür die sonnige Frühlings- und Sommer-Nordhang-Lage besonders heraus. Eine Lage mit Blick auf die Stadt hinunter, d.h. vor allem auf das Otmar-Quartier (einem Blick, so würde ich ergänzen, mit dem man – äxgüsi – den grauen-haften Fachhochschule-Turm kaum sieht).

Vor Monaten habe ich hier einen jungen Familien-Gärtner getroffen: Adrian Hochreutener, der ganz in der Nähe wohnt, an der Fellenbergstrasse. Allein oder mit seiner Frau oder sogar manchmal «assistiert» von seinen zwei kleinen Kindern Eva und Moritz (ein- und zweijährig) bearbeiten sie die gepachtete Are.

Woher nehmen sie die Zeit zum Gärtnern? Es ist so: Er und seine Frau arbeiten je mit Teilpensen: Adrian in einer Forschungsgruppe an der ZHAW in Wädenswil, seine Frau als Sozialpädagogin im «Bad Sonder».

Die lustvollen, aber oft schweisstreibenden Gartenarbeiten: Setzlinge kaufen auf dem Bauernmarkt, Boden lockern, pflanzen, Stecklinge mit Plastik-Kragen vor hungrigen Schnecken schützen, düngen, giessen (mit Wasser aus der bei Gartenhäuschen vorgeschriebenen Regentonne), alle Sorten von Gemüse und Beeren ernten, aufbinden, kompostieren, schneiden, Blumen pflegen (in allen Familiengärten der Stadt muss ein Teil der Parzelle mit Blumen bepflanzt sein). Mietkosten für die Parzelle (normalerweise eine Are): etwa 140 Franken pro Jahr, für grössere etwa 250 Franken.

Adrian sagt, allein der Ertrag der Brombeeren, die er in seiner Are erntet, übersteige die Mietkosten.

Jedes der 18 Familiengarten-Areale bildet einen Verein (wo kämen wir sonst hin!), alle Vereine zusammen haben einen Zentralvorstand. Unseren Ruckhalden-Verein sowie den Zentralvorstand aller 18 Vereine präsidiert eine Riethüsli-Frau, die gleichzeitig auch Präsidentin unseres Quartier-vereins ist: Gisela Bertoldo. Ich nehme jetzt einfach mal an, dass sie trotz dieser Ämter-Kumulation jede Nacht gut schlafen kann.

Etwas muss zum Schluss noch ziemlich laut gesagt werden, adressiert an unsere Stadtregierung, die sich schon lange mit dem frommen Slogan brüstet: «St. Gallen, die Stadt im grünen Ring»: Aber eigentlich müsste die Stadt auch im Innern grün bleiben, eine Stadt mit grüner Lunge. Dazu eignen sich auch die Familiengärten, gopfridschtutz! Denn immer wieder lassen Überbauungsgelüste die Familiengar­ten-Vereine leer schlucken.

Winterthur macht es uns vor (wie ich von der dortigen Stadtverwaltung telefonisch erfahre): Die Stadt will unbedingt eine grüne Stadt sein. Dazu dienen ihr unter anderem auch die Familiengärten (dort heisst ein Schrebergarten «Pünt»), die übrigens bei der Zugfahrt nach Zürich lange Zeit die Geleise säumen.

So. Das wär’s. Halt, noch etwas: Einer der berühmtesten französischen Romane, «Candide ou l’optimisme» von Voltaire, hört auf mit dem Satz: «Il faut cultiver notre jardin». 

Magazin Riethüsli Dezember 2022 

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