24.03.2020
Das Riethüsli diente einst zur Absonderung von Siechen und Hexen
Das Riethüsli und die Seuchen - Ein Blick zurück auf frühere Quarantänestationen.
Hände regelmässig waschen, Abstand halten, Selbstquarantäne – Verhaltensweisen und Gebote in Zeiten der Corona-Pandemie. Wie gingen frühere Generationen mit Seuchen wie Pest und Cholera in unserer Gegend um? Unser Lokalhistoriker Fredi Hächler ist dieser Frage nachgegangen und hat Erstaunliches zum Quartier Riethüsli herausgefunden.
Fredi Hächler
Das Riethüsli war (und ist) ein Gebiet am Rande der Stadt St.Gallen. Einerseits war es seit 1806 mit der Erstellung der Teufener Strasse das Verbindungsglied mit unserem Nachbarkanton Richtung Teufen/Gais/Appenzell.
Doch schon 1460 wurde erstmals in unserem Quartier eine Grenze markiert: Es ist das heute noch im Gebüsch des Nestweihers zu findende Grenzkreuz, dass damals das Territorium der Stadt und der Abtei definierte. Diese Grenze bestand bis zur Auflösung des Klosters 1803/05. Das Gebiet von Straubenzell und Tablat wurde dem Kanton St.Gallen zugeteilt, bis diese 1831 zu autonomen Gemeinden wurden. Bis zur Stadtverschmelzung 1918 war das nach 1900 sich entwickelnde Quartier Riethüsli auf drei Gemeinden verteilt.
Diese Grenzlage hatte früher immer wieder den Nachteil, dass sich oft keine Gemeindeverwaltung bei Quartieranliegen zuständig fühlte. Umgekehrt hatten früher zwei Gemeinden diese Grenzlage ausgenutzt. Sie mussten in den Zeiten von Seuchen und ansteckenden Krankheiten für ihre Bewohner isolierte Wohnmöglichkeiten bieten. Diese wurden möglichst an den Rand der Gemeinden gebaut. Das bis um 1900 abgelegene Gebiet hinter dem Nestweiher bot geradezu ideale Voraussetzungen.
Das ‚Blatternhaus‘ der Stadt St.Gallen, nach 1600 bis um 1960, Obere Berneggstrasse 80
Das vermutlich nach 1600 noch knapp auf städtischem Boden errichtete Haus besass einen grösseren Garten. Die Insassen sollten vor allem in den Pestzeiten sich möglichst selber ernähren können. Diese Quarantäne-Station lag möglichst weit von der ummauerten Stadt entfernt im landwirtschaftlichen Gebiet.
Quarantänestation, Absonderungs- und Verbannungsort
Doch man brauchte das Haus auch, um renitenten, randständigen Bürgern ein Obdach zu geben, so auch der letzten hingerichteten Hexe der Stadt, Anna Hellerin (1630-1691). Sie wurde viermal der Hexerei angeklagt, musste aber jedes Mal mangels triftiger Beweise freigesprochen werden. 1663 wies sie der Rat mit ihren 10 Kindern ins Blatternhaus ein. Es soll zu dieser Zeit ziemlich verwahrlost gewesen sein. Da sie offenbar ihren bisherigen Lebenswandel nicht änderte, wurde ihr nochmals den Prozess gemacht und sie diesmal für schuldig befunden. Ihr wurde die rechte Hand abgeschlagen, sie wurde mit Blattern infiziert und auf der Richtstätte Heimat am 4. September 1691 verbrannt – die schlimmstmögliche Todesart.
Das Blatternhaus wurde immer wieder als Absonderungsort bei Seuchen, ansteckenden Krankheiten und als Unterkunft für sonst obdachlose Bürger benutzt. Es wurde erst um 1960 abgebrochen und diente der Stadt wohl bis zum Schluss als Haus für Mieter in sozialer Notlage.
Das ‚Spitöli‘ – vor 1880 bis nach 1960. Heute Im Grund 16
Ursprünglich stand dieses Siechenhaus (1567 bis 1964) zentraler im äbtischen Dorf Bruggen (heutige Post), hatte aber wohl die gleiche Funktion wie das oben beschriebene Blatternhaus. Noch vor 1880 erbaute die Gemeinde Straubenzell an der Grenze zum Tablat im Riethüsli isoliert ein Gebäude, über dessen Zweck nur Vermutungen angestellt werden können: Wollte man hier Leute aus gesundheitlichen Gründen absondern, war es auch ein ‘Altersheim’ oder eine Unterkunft für mittellose Bürger?
Das Haus ist den älteren Riethüslern noch als ‘Spitöli’ bekannt. Vor dem Abbruch in den 1960er-Jahren wurde es nur noch als älteres Wohnhaus benutzt.
Das „Blatternhaus“ im Nest – Quarantänestation für Pocken, Pest und Syphilis
Ernst Ziegler (Quartierzeitung 2/2008)
Den Weg von der Stadt hinauf ins Nest mussten in früherer Zeit auch jene kranken Menschen unter die Füsse nehmen, die mit der Pockenkrankheit oder der „Franzosenkrankheit“ (Syphilis) behaftet waren. Das Haus hinter der Bernegg wurde in Pestzeiten auch als Isolierstation benützt, beispielsweise 1611, als es der Kleine Rat der Stadt räumen und „als Aufnahmestation für Kranke“ einrichten liess.
Das Haus hatte seinen Namen von den Blattern (Pocken, Variola) erhalten, einer äusserst ansteckenden, gefährlichen Infektionskrankheit, wobei nicht nur an Pocken erkrankte Menschen im Blatternhaus abgesondert wurden, sondern alle mit einer Seuche oder ansteckenden Krankheit behafteten oder auch bloss damit verdächtigten Personen.
Das „Blatterenhaus“ an der Bernegg wurde 1747 inventarisiert. Gemäss diesem Verzeichnis gab es eine untere Herberge mit einer Webstube und einem „Gemächlein“ darüber, mit dem „Blatterenstüblein“ und einem „Gemächlein voraussen“, einer Küche, einer Nebenkammer und einer Stube; dazu gehörten ein Hausschopf und ein Garten. Zur oberen Herberge gehörten ein Keller, ein Läublein, eine Küche, zwei Stuben und ein kleines Stübli sowie vier Kammern. Im oberen Stock gab es drei Kammern und eine Scheiterdiele; dazu gehörten ein Waschhaus, ein Pferdestall mit zwei Holzschöpfen und einem Läublein sowie einem weiteren kleinen Gemach.
Autor/in: Nicola Zoller | 24.03.2020 | Keine Kommentare | Tools: