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24.12.2021

Armut in St. Gallen? Zwei Rettungsanker

Gewusst wo - versteckte Armut gibt es auch bei uns - hier gibt es Hilfe.

Reto Schneider ist Präsident des Freiwilligen Hilfsvereins.

Der Freiwillige Hilfsverein St. Gallen West

165 Jahre sind eine sehr lange Zeit. So lange gibt es bereits den Freiwilligen Hilfsverein St. Gallen West.

Gegründet in Straubenzell am 12. Mai 1856, hat sich der Vereinszweck in all den Jahren nicht geändert. Es ist dies „Die Unterstützung bedürftiger Einwohner des Kreises St. Gallen West durch Gaben in bar oder natura.“

Initial konfessionell geprägt, werden heute Anträge auf Unterstützung von den Pfarrämtern beider Konfessionen entgegengenommen, es spielt keine Rolle, ob reformiert oder katholisch. Offensichtlich handelt es sich um eine in jeder Beziehung nachhaltige Institution, auch personell, denn deren Präsident Reto Schneider hat diese Funktion bereits seit 20 Jahren (!) inne.

Bedarf ist vorhanden
Im Gespräch bei ihm zuhause an der Oberhofstettenstrasse wird klar, dass Bedarf für Hilfe durchaus besteht, Armut existiert auch bei uns, wobei überproportional ausländische Mitbürger betroffen sind. Vier mal im Jahr wird in einer Kommission über Anträge auf finanzielle Hilfe beraten und entschieden. Meist handelt es sich um Beträge zwischen 300 und 600 Franken und grundsätzlich um einmalige Hilfsleistungen. Da werden Kosten für Ferienlager übernommen, Zuschüsse für Zahnsanierungen von Kindern gutgeheissen, für Wohnnebenkosten, die von den
Mietern nicht mehr getragen werden können, für Ausbildung (Lehre), für Sprach- oder Integrationskurse.
Auch gibt es Caritasgutscheine, die im Laden an der Langgasse 11 eingelöst werden können.

Woher kommt das Geld?
Finanziert werden die Hilfen ausschließlich durch Spenden, erbracht von ca. 100 Firmen und durch Postwurfsendungen in ca. 11.000 Privathaushalte. Immerhin kommen pro Jahr ca. 23’000 Franken zusammen, die vollständig der Unterstützung Bedürftiger zugute kommen. Die Funktionsträger arbeiten alle ehrenamtlich.

Reto Schneider kam zu der Präsidentschaft des Freiwilligen Hilfsvereins vor 20 Jahren mehr oder weniger zufällig. Neben seinem Beruf als Hauptabteilungsleiter im kantonalen Steueramt hat er verschiedene ehrenamtliche „Jobs“, die er mit Freude und Herzblut ausfüllt, so auch den beim Freiwilligen Hilfsverein. Ein Engagement für das Gemeinwohl, an dem man sich ein Beispiel nehmen kann.

Bernhard Brack ist Sozialarbeiter beim kath. Sozialdienst der Kirchgemeinde. Fotos: Michael Töpfer

Der katholische Sozialdienst

Das Gesicht des katholischen Sozialdienstes ist seit 2003 (!) Bernhard Brack, als Sozialarbeiter zuständig für das Zentrum, St. Georgen, St. Otmar und Riethüsli.

Sein helles, freundliches und geräumiges Büro liegt zentral an der Frongartenstrasse 11. Bei dieser Institution geht es nicht um das Sammeln von Spenden, sondern primär um Beratung. Sofort wird klar, dass Bernhard Brack hier den ganzen Menschen im Fokus hat, mit seiner Biografie, seinem Leidensweg, aber auch mit seinen Fähigkeiten und – oft verborgenen – Talenten. Es ist ein Glücksfall für Hilfesuchende, hier auf jemanden zu treffen, der dieses ganzheitliche, humanistische Menschenbild hat und dieses konkret in seine Arbeit einfliessen lässt.

Gute Hilfsangebote durch gute Vernetzung
Trotz Finanzierung durch die katholische Kirche mit jährlich 50’000 Franken spielt die Konfession bei der Vergabe von Hilfen keinesfalls eine Rolle. Der kirchliche Beitrag macht ca. die Hälfte der Fördermittel aus, ein etwa gleich grosser Geldbetrag steht über Stiftungen zur Verfügung. Ein grosser Vorteil ist die Kenntnis dieser verschiedenen, teils spezialisierten Geldgeber, von denen es in St. Gallen erfreulicherweise zahlreiche gibt. Da ist eine gute Vernetzung gefragt. Die ist – nicht zuletzt aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit – bei Bernhard Brack vorhanden. Er kennt sich aus im Dschungel möglicher Finanzquellen. Ziel ist es, dem oder der Einzelnen ein individuelles und
damit auch zielführendes Hilfsangebot machen zu können. Der Kontakt zum Katholischen Sozialdienst kommt übrigens meist über die Kirchen oder die Sozialämter zustande.

Die Problemstellungen werden komplexer
Über die Jahre haben sich die Probleme der Klienten verändert, sie sind komplexer geworden. Eine relevante Gruppe sind die „working poor“, Menschen, die trotz oft verschiedener Jobs nicht genug zum Leben verdienen und daher finanzielle Unterstützung brauchen. Und oft sind es alleinerziehende Mütter, die finanziell am Anschlag sind. Da geht es um Beiträge zu einer Umschulung, um die Finanzierung von Nachhilfe oder Sportaktivitäten der Kinder.

Beratung heisst auch, zuerst einmal eine Analyse der Situation vorzunehmen und dann einen Finanzplan aufzustellen, der auch das Potential für Einsparungen beinhaltet. Und manchmal helfen auch Atemübungen zur Stressbewältigung – da hat die Beratung dann schon Elemente einer Therapie.

Ein Tage – Buch
Am Ende unseres Gesprächs schenkt mir Bernhard Brack noch ein Buch mit dem Titel „Das Buch der Brüche“, in dem er Erlebnisse aus seiner täglichen Arbeit aufgeschrieben hat. Es sind sehr berührende, einfühlsame kleine Schlaglichter auf Lebenssituationen und Schicksale von Menschen, die es nicht leicht haben im Leben, denen man aber gerade deshalb mit grosser Achtung und Respekt begegnen sollte.

Fazit: Riethüsli ist zwar nicht ein Quartier mit grossen sozialen Problemen, es gibt sie aber trotzdem – und zum Glück gibt es auch Möglichkeiten der Hilfe, beispielhaft hier an zwei Institutionen aufgezeigt. Der Erfolg steht und fällt mit den Menschen, die diese Institutionen repräsentieren, und mit deren kompetentem Engagement mit Herzblut.

Michael Töpfer

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