3.05.2022
Ein Maibummel der besonderen Art
Vogelkundler spitzten ihre Ohren und Augen am Sonntagmorgen im Menzlenwald.
Erich Gmünder, Bildbericht
Wer liebt nicht ihr fröhliches Gezwitscher? Für viele ist es Musik in den Ohren. Doch wie jedes Orchester aus unterschiedlichen Instrumenten zusammensetzt, wirken auch beim vielstimmigen Morgenkonzert im Grünen oder im Wald ganz unterschiedliche Stimmen zusammen. Einige von ihnen bestimmen zu können, war Thema des Waldrundganges von Birdlife Sektion St. Gallen-Bodensee am 1.- Mai-Morgen.
Hand aufs Herz: Wie viele Vögel kennen Sie vom Sehen oder können Sie aufgrund ihres Gezwitschers unterscheiden? Amsel und Hausspatz, vielleicht noch die Kohlmeise, dann kommt das Ende der Fahnenstange – mindestens beim Schreibenden.
Deshalb habe ich einen alten Vorsatz in die Tat umgesetzt und eine Vogelbeobachtung absolviert, quasi vor der Haustüre, im Menzlenwald am Morgen des 1. Maisonntags.
Rund zwei Dutzend Vogelfreunde und -kundige besammelten sich eingangs des Menzlenwaldes, die meisten ausgerüstet mit Feldstechern, vereinzelt mit Fotoapparaten. Gemessenen Schrittes, oft nur leise flüsternd, schritten sie mit gespitzten Ohren und Augen auf dem Walderlebnispfad langsam vorwärts.
Zu sehen gibt es allerdings vorerst wenig, ein hartnäckiger Morgennebel hat sich in den Bäumen festgesetzt. Also zuerst einmal dem Ohr nach, die Augen aber immer in die Höhe oder Ferne gerichtet.
Eine der ersten Entdeckungen, auf die uns jemand aufmerksam macht, ist jedoch kein Vogel, sondern zwei muntere Eichhörnchen, die mit uns Verstecken spielen, den Stamm rauf und runter sprangen und schliesslich unseren Augen entschwanden. Wahre Artisten.
Langsam wird das Gehör schärfer, zwischen Amseln und dem dominierenden Buchfink machen die Kundigen in der Gruppe bestimmte Vögel aus, die ein gewöhnlicher Waldgänger noch nie gehört, geschweige denn bewusst gesehen hat – ausser vielleicht in einem Buch.
Auch einfach zu bestimmen ist der Specht in seinen verschiedenen Unterarten, durch sein schnelles Tock-tock, wenn er mit dem spitzen Schnabel Würmer aus der Rinde pickt. Doch wie seine Rufe tönen, wenn er Warntöne vor sich gibt, wissen wohl die wenigsten – zumal jede Art wieder ihren eigenen Gesang pflegt. Oder schon mal einen Gartenbaumläufer gehört? Er eilt, wie der Name es sagt, auf der Suche nach Nahrung den Stamm rauf und runter. „I bi debii, i bi debii“ – so könnt ihr euch das merken“, so die erfahrene Vogelkundlerin Beatrice Heilig, Präsidentin der Birdlife-Sektion.
Immer länger wird die Liste – rund ein Dutzend Vogelarten sind es am Schluss, welche uns die Aufwartung machen, Misteldrossel, Sommergoldhähnchen, Eichelhäher, Haubenmeise und Grünfink – solche, die unsereins noch nie gesehen hat. Aber auch so seltene wie der Zaunkönig, und dieser gleich doppelt. Der Schreibende hört ihn leider nicht. Männer hätten es, insbesondere im fortgeschrittenen Alter, schwerer, die hohen Frequenzen zu hören, erklärt mir die Leiterin der Exkursion mitfühlend.
Und einmal bleiben alle stehen: Wenige Meter vor ihnen suchen zwei Rotkehlchen auf dem Waldweg Nahrung für ihre Brut.
Eine schöne Ausbeute, und ein gutes Zeichen für einen intakten Wald, sagt Beatrice Heilig. Wobei der Wald, so naturbelassen er heute ist, halt schon ein bevorzugter Lebensraum für Vögel ist. Im Gegensatz zu ausgeräumten Landschaften, die intensiv bewirtschaftet werden und in Sachen Diversität Einöden sind. Insbesondere der Rückgang der Insekten um bis zu 40 Prozent hat der Vogelpopulation Nahrungsgrundlage und Nistplätze geraubt. 14 Vogelarten sind mittlerweile in der Schweiz und Europa auf der Roten Liste der bedrohten Vögel oder hierzulande bereits verschwunden.
Vorbei am Waldhaus geht es den blühenden Wiesen entlang nach Oberhofstetten. Auch hier werden die Feldstecher gezückt: Neben den obligaten Amseln und Haussperlingen sprich Spatzen wird der Hausrotschwanz gesichtet. Und weit entfernt, oben auf der Solitüde, nur für Leute mit Feldstecher bestimmbar, drehen Rauchschwalben ihre Runden. Je mehr die Hausgärten naturbelassen und nicht herausgepützelt werden, umso mehr Lebensraum bieten sie – ein guter Grund, die Gartenarbeit nochmals etwas hinauszuschieben, erkläre ich später meiner Frau.
Autor/in: Erich Gmünder | 3.05.2022 | Keine Kommentare | Tools: