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31.01.2020

«I glaub, es isch so wiit!»

Die Quartierzeitung war bei der Geburt eines Kalbes dabei.

Unser Reporter Martin Wettstein hat wieder einmal einen Besuch auf dem Bauernhof der Inauens gemacht und konnte dabei gleich bei der Geburt eines Kalbes dabei sein. Es ist wie jedesmal: Die Besuche bei Inauens sind und bleiben spannend –  doch lesen Sie selber … 

Martin Wettstein, Bildreportage

Es ist wie immer auf Inauens Bauernhof an der Oberen Berneggstrasse, wenn ich mit Interview-Fragen im Rucksack an der Tür läute: Empfang in der Wohnküche im ersten Stock ihres Hauses, von Barbara Inauen, der Bäuerin, und diesmal auch von Katrin, der jüngsten Tochter (sie ist die einzige der vier Kinder, die noch zu Hause wohnt. Sie arbeitet gegenwärtig hundertprozent bei der Spitex). Beat Inauen kommt etwas später, von einer Jodelprobe. Wir reden über seinen Betrieb, in dem Milch und Zucht die Hauptrolle spielen.

Seine zwanzig Milchkühe haben alle einen Namen. Sie sind von der Familie gewissermassen auf diese Namen getauft. Blumige Namen wie Hulda, Norma, Primeli, Freudi, Mungg, Susi, Heidi … Die Kühe können sich das natürlich nicht merken und reagieren nicht, wenn man sie mit ihrem Namen ruft. Die Namen haben nur den Zweck, dass man jeweils weiss, von welcher Kuh die Rede ist. «Öhrli» käme eigentlich auch in Frage, denn das gäche Säntis-Öhrli hat mit Inauens Rindern zu tun, dort oben, auf der Alp «Ondere Borschtböhl» nahe der Potersalp, übersömmern sie die Rinder.

Aufmerksame Leserinnen und Leser des Riethüsli-Magazins (und das sind ja die meisten) erinnern sich, dass ich vor genau sechs Jahren schon einmal bei Inauens zu Besuch war, um sie, ihre Familie, ihren Alltag und ihre Vorlieben, ihre Arbeit, ihre Haupt- und Nebenbeschäftigungen zu beschreiben. Diesmal soll mehr die Rede sein von Zucht, von Milch- und Fleischproduktion, von den Umständen der Besamung, von Abläufen, von Bürokratie und Vorschriften. Während unseres Gesprächs geht Barbara Inauen ab und zu in den Stall hinüber. Einmal kommt sie zurück und sagt: «I glaub, es isch so wiit.»

Mit anderen Worten: Eine erwartete Geburt beginnt. Habe ich noch nie gesehen und greife zum Fotoapparat. Für Beat und Barbara Inauen ist das Alltag. Von den 20 Kühen soll ja jede ein Mal pro Jahr trächtig werden. Die Geburten der Kälber dauern manchmal lang, eine Stunde und mehr. Diesmal waren’s nur etwa 30 Minuten. Dann liegt das Kalb neben der Mutter im Stroh, das ihm Beat hingelegt und mit dem er es abgerieben hat. Die von der Geburt durstige Kuh trinkt dann etwa 60 und mehr Liter Wasser und bekommt anschliessend, gemäss appenzellischen Bräuchen, drei rohe Eier und säuft nachher eine ganze Flasche Wein.

Dann: Melken der «Muttermilch», um sie dem Kalb einzugeben. Diese Erstmilch ist ganz besonders nahrhaft und gibt in der ersten Zeit dem Kalb Abwehrkräfte gegen Infektionen aller Art. – Schliesslich tragen Beat und Barbara das Kalb in den Kälberstall gleich nebenan und legen es in eine Art Kälber-Kindergarten, wie sie den kleinen Stall nennen, oder scherzhaft: eine Tag-und-Nacht-Kita, die ebenfalls mit Stroh ausgelegt ist. Dort steht schon ein grösseres Kalb, welches das neue erstaunt mustert. Dieses neue wächst dann – für Menschenbegriffe – rasend schnell. Schon ein paar Tage genügen, und es steht, im flotten Fell, aufmerksam da. Als Kalb gilt es, bis es 230 Kilo erreicht hat. Anschliessend gehört es zu den Rindern.

Beat Inauen betont, dass er eben nicht nur Milchproduzent ist, sondern auch Züchter. Das Besamen der Rinder und Kühe wird heute bei ihm nur noch künstlich vollzogen. In einem grossen bebilderten Katalog kann er vorher jeweils einen Stier wählen, entsprechend seinen Wünschen bezüglich Rasse, Sperma-Eigenschaften und Kosten. Sogar das Geschlecht des Kalbs könnte zum Voraus gewählt werden, allerdings mit Zusatzkosten.

Ist eine Kuh stierig, etwa alle drei Wochen, und soll trächtig werden, muss die Besamung schnell erfolgen. Die Firma «Swissgenetics» wird telefonisch benachrichtigt und liefert den Samen (vorher auf Trockeneis gekühlt) innerhalb eines halben Tages. Die Kuh ist dann neuneinhalb Monate trächtig. Schon früh wird via Milchprobe ein Schwangerschaftstest gemacht.

Bevor die Kuh «abkalbt», wird sie während etwa zwei Monaten «trocken» gehalten, das heisst zunächst nur noch wenig und dann gar nicht mehr gemolken, weil sie Kraft und Energie braucht für das zu gebärende Kalb. Nach der Geburt und nach den «Erstmilch»-Tagen, wird das Kalb während fünf bis sechs Monaten aus dem Milchtank getränkt, frisst aber schon nach einer Woche ein bisschen Heu und trinkt Wasser nach Belieben.

Und die normale Milch? – Die Kühe werden zwei Mal pro Tag maschinell gemolken. Im Durchschnitt gibt eine Kuh 7000 bis 7500 Kilo Milch pro Jahr (bzw. während 305 Tagen); anders gerechnet: 20 bis 30 Kilo pro Tag; die Besten bis zu 10‘000 Kilo pro Jahr (im Moment sind das zwei). Die Nahrung, die sie dafür brauchen: «Im Sommer ‹Grääs›, im Winter Heu», das wissen wir. Im Winter kommt das Futter aus den Silo-Ballen, den «Heukonserven», die sich neben dem Stall auftürmen. Für ausgeglichene Nahrung werden zusätzlich, als Eiweissträger, pro Woche 900 kg Malz von der Brauerei Schützengarten an die zwanzig Kühe verfüttert. –

Die Milch wird zunächst in einen Tank gefüllt, wo sie auf ein paar Grad heruntergekühlt wird. Jeden zweiten Tag holt ein Tankwagen die Milch ab und bringt sie zu weiterverarbeitenden Industriebetrieben. Die flache Senke im Tal der Demut, die ungefähr vom Schützenstand bis nach Westen zur GBS reicht, gehört übrigens landwirtschaftsmässig auch zum Inauen-Hof und vergrössert entsprechend das Heu-Volumen. Alles in allem ergibt sich eine Nutzfläche von 28 Hektar. 

Viel Bürokram

Was Aussenstehende ahnen können: Die Büro-Arbeit hat in den letzten Jahren enorm zugenommen, seufzen Bauer und Bäuerin: Immer umfänglichere Bundesvorschriften, die eingehalten werden müssen. Angaben zu ökologisch erbrachten Leistungen. Details und Vorschriften bezüglich der Bundes-Direktzahlungen (bei Inauens zusätzliche Beiträge wegen der Hanglage unter dem Berneggwald). Milchabrechnungen. Ermittlung der Schlacht-Gewichte. Die tierärztlichen Belange. Der ganze «Label-Kram», wie Barbara Inauen diesen Aspekt ihrer Milch- und Fleischproduktion nennt. Tier-Datenbanken. Buchhaltung. Die Steuererklärungs-Belege …

Bis jetzt war von Kühen, Rindern und Kälbern die Rede. – Aber die Spaziergänger sehen, dass es da ja noch mehr Tiere gibt: 3 Pferde (Hobby von Barbara Inauen); 7 Geissen, die ebenfalls gemolken werden (Hobby von Beat Inauen); neuerdings eine Schar «Chüngel», die gut sichtbar in kleinen Drahtställen hocken oder am vorgelagerten Abhang zu ihrem Schutz grosse Löcher graben (Hobby der Tochter Katrin). Und da ist natürlich auch noch der Hofhund «Bärli», der in seiner Altersmilde (12 Jahre) nicht mehr bellt und nur noch die Leute betrachtet, die vorbeispazieren oder im Hofladen ein- und ausgehen. Bellen tut er offenbar nur aus Freude, zum Beispiel, wenn er beim Ausritt hinter den Pferden herrennt. Tiere, die wir meistens nicht sehen: Rehe oben am Waldrand; Füchse, die bis zu den Wohnhäusern unten am Hang spazieren; Schmetterlinge und Heugümper, angezogen vom Naturgarten von Barbara. Fledermäuse. Und vor kurzem hat ein Igel mit Jungen zwei Jahre lang hinterm Bauernhaus gewohnt und dort überwintert.

Was geschieht eigentlich, wenn Inauens einmal krank sind oder irgendwann im Jahr für kurze Zeit Ferien machen wollen? Ihre Arbeit verrichten sie ja sonst während sieben Tagen in der Woche, ohne Unterbruch von frühmorgens bis abends. Organisiert vom Bauernverband, stehen für diesen Fall eine Anzahl ausgebildeter Bauern, sogenannte Betriebshelfer, zur Verfügung, die jederzeit und rasch einspringen können.

«Isch es scho so wiit?»

Ja, das Jahr ist fast zu Ende. Zu wünschen ist Inauens ein anständiger Winter, der den Hof und die gewaltige Winterlinde an der Naturstrasse gegen die Falkenburg hinauf in Ruhe lässt. Und wünschen tun wir auch: ein gutes neues Jahr, «Gsondheit ond Fröid»! Oder wie es die Bauersleute sagen: «Glück i Huus, Hof ond Stall». Und ganz zum Schluss: Vielen Dank für die Zeit, die ihr euch, Beat, Barbara und Katrin, für den Schreiber dieses Textes ein paar Mal genommen habt an eurem verdienten Feierabend.

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