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13.09.2020

«Ich finde es cool, etwas zu machen, an das sich später alle erinnern»

Grosse Reportage im St. Galler Tagblatt zum Glockenaufzug.

Das Tagblatt war gleich mit drei Journalisten am denkwürdigen Glockenaufzug: Mirjam Bächtold, Text, Benjamin Manser, Fotograf und Raffael Rohner, Videojournalist. Die ganze Reportage inklusive Bildstrecke und Video ist auf www.tagblatt.ch nur für Abonnenten zu sehen. 

Nach dem Abbruch der katholischen Kirche Riethüsli haben Kinder am Samstag deren Glocke in den Kirchturm der evangelischen Kirche gezogen, die nun paritätisch genutzt wird. Mit dabei war auch Marius Pribil, der die gleiche Glocke 1987 schon in die katholische Kirche gezogen hatte.

 
Mirjam Bächtold, St. Galler Tagblatt, 12.09.2020

Fotos: EG

Sie trägt einen Kranz aus Sonnenblumen, ist glänzend poliert und steht am Fusse des Kirchturms der paritätischen Kirche Riethüsli: Die Hauptakteurin am Samstag ist die Glocke, die vorher in der katholischen Kirche hing, die im August rückgebaut wurde. Neben dem am Boden liegenden Seil haben sich knapp 50 Kinder aufgereiht, die gleich die 180 Kilo schwere Glocke in den Turm ziehen werden, über mehrere Flaschenzüge und gesichert durch einen Kran. Oskar Näpflin ist der Projektleiter des Glockenaufzugs.

Näpflin hat auch schon den Aufzug 1987 in die katholische Kirche geleitet und sieben Jahre zuvor jenen der drei Glocken in den Kirchturm der evangelischen Kirche. Nun gibt er den Kindern letzte Anweisungen und dirigiert sie in eine perfekte Linie. Ein Mädchen hebt ihren kleinen Bruder hoch und stellt ihn richtig in die Reihe.

 
Nach einer Ansprache schlägt Diakon Daniel Bertoldo die Glocke mit einem Holzhammer an und Oskar Näpflin gibt den Kindern das Kommando. Ganz langsam schwebt die Glocke in die Höhe. Oben wird sie von zwei Mitarbeitern der Muff Kirchenturmtechnik AG entgegengenommen und zu den anderen drei Glocken gehängt.

Einer der Knaben, die am Seil gezogen haben, ist Jano Pribil. Er sagt: «Es war überhaupt nicht streng. Ich finde es cool, etwas zu machen, an das sich später alle erinnern.»
Sein Vater hat den feierlichen Aufzug mit dem Handy gefilmt. Für ihn ist der heutige Tag etwas Besonderes. Als er elf Jahre alt war, zog er die gleiche Glocke 1987 in den Turm der katholischen Kirche. Er war damals Ministrant und Mitglied bei Jungwacht und Blauring Riethüsli und erinnert sich an den Tag im September. Marius Pribil sagt:


«Es war damals der einzige Tag mit schlechtem Wetter. Davor und danach schien die Sonne, nur nicht beim Glockenaufzug»
Die Glocke war damals noch nicht durch einen Kran gesichert und auch die Flaschenzüge seien einfacher gewesen als heute. «Es war ein bisschen wie Seilziehen, aber nicht gegen- sondern miteinander», sagt er.

Für ihn sei der Aufzug 1987 ein einmaliges Ereignis gewesen. «Und heute ist es nun umso spezieller, weil mein Sohn diesmal beim Aufzug mithalf.» Der Abbruch der katholischen Kirche im August sei emotional gewesen. «Wir verbinden viele Erinnerungen mit dem Gebäude. Unsere zwei älteren Kinder wurden dort getauft und mit dem Jungwacht-Blauring haben wir dort viele Anlässe durchgeführt.» 

Er erinnert sich an einen Kristall, den sie in einem Sommerlager gefunden haben und der nun das Tabernakel ziert. Dieses hat bereits einen Platz in der paritätischen Kirche gefunden. Auch Marius Pribils Vater Eugen erinnert sich noch gut an das Jahr 1987. Damals sei die Freude über die eigene Kirche gross gewesen, sagt der damalige katholische Pfarreiratspräsident. Bis 1987 haben die katholischen Gottesdienste in der Aula der Gewerbeschule stattgefunden. Früher sei eine paritätische Nutzung der Kirche nicht denkbar gewesen. «Es ist schön, dass die Ökumene hier immer mehr Fuss fasst», sagt er.

Rund 50 Kinder zogen die Glocke in den Kirchturm.

«Nun ist der gemeinsame Weg hörbar»
Bereits seit einem Jahr nutzen die katholische und die evangelische Kirchgemeinde die Kirche gemeinsam. Der Innenraum wurde entsprechend umgestaltet, man hat Platz geschaffen für das Tabernakel, die Muttergottes sowie für das Bild der Taube als Symbol des Heiligen Geistes. Der Glockenaufzug sei für die paritätische Kirche ein weiterer Meilenstein, sagt Daniel Bertoldo. Und die katholische Religionspädagogin Barbara Stump ergänzt:

«Bisher sah man die paritätische Kirchennutzung nur im Innern. Jetzt hört man durch die Glocke auch von aussen, dass wir den gemeinsamen Weg gehen.»

Für die evangelische Pfarrerin Elisabeth Weber ist der Glockenaufzug ein weiterer Schritt auf dem gemeinsamen Weg, jedoch noch kein Abschluss. Die Kirche erhalte noch neues Mobiliar und werde saniert. Für das Geläut erstelle man eine gemeinsame Läutordnung. Die am Samstag aufgezogene Glocke ist die kleinste und hat somit den höchsten Ton, ein Dis-2. «Es ist fast ein Wunder, dass ihr Ton zu den anderen drei Glocken passt», sagt Barbara Stump.

Elisabeth Weber und Barbara Stump enthüllen das Denkmal, kommentiert von Andres Büsser.

Am Samstag wurde nebst dem Glockenaufzug auch das Kreuz, das auf der katholischen Kirche stand, als Denkmal unterhalb des Kirchturms eingeweiht. Nachmittags um 14.45 Uhr läuteten zum ersten Mal alle vier Glocken gemeinsam im gleichen Turm. 
  
  
  
 

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