20.09.2019
„Wie nach einer Stil- und Farbberatung – das neue Outfit wirkt anders auf die Leute“
Ein Monat nach dem Neustart: Wir trafen das Leitungsteam der paritätischen Kirche Riethüsli zu einer ersten Bilanz.
Seit einem Monat ist die reformierte Kirche Riethüsli-Hofstetten das Dach für die zwei Konfessionen. Was verändert sich mit dem Einzug der Katholiken, wie werden die Veränderungen an der Basis aufgenommen, wie wirken sie sich auf den Alltag aus?
Darüber sprachen wir mit dem Leitungsteam: Barbara Stump, Pfarreibeauftragte der katholischen Pfarrei, Elisabeth Weber, reformierte Pfarrerin sowie der reformierte Diakon Daniel Bertoldo, der auch den Umbau leitete.
Interview und Fotos: Erich Gmünder
Zu Beginn die gleiche Frage an alle drei: Welches ist Ihr Lieblingsgegenstand oder Ort in der Kirche?
Barbara Stump (BS): Früher war die katholische Kirche für mich ein Kraftort. Schon immer gut gefallen hat mir der Innenhof der reformierten Kirche: Die Stühle hinausstellen und mit den Leuten zusammensitzen, ist für mich etwas vom Schönsten.
Elisabeth Weber (EW): Ich finde den Meditationsraum in der Galerie mit den blauen Sitzkissen einen wunderschönen Ort. Hier bin ich gerne, wenn Gabriela Bregenzer zu ihren Meditationen einlädt.
Daniel Bertoldo (DB): Seit jeher ist der Gottesdienstraum selber der Ort, den ich am meisten schätze.
Am 18. August wurde die neu paritätisch genutzte Kirche feierlich eingeweiht, mit einem feierlichen Gottesdienst, umrahmt vom Kirchenchor zu St. Otmar und einem Apéro. Wie habt ihr das erlebt?
DB: Nach der langen Wartezeit waren natürlich alle gespannt. Der Anlass ist sehr gelungen, das Feiern miteinander stand im Vordergrund.
EW: Dieser Sonntag hat nicht nur bei mir grosse Freude und Dankbarkeit ausgelöst. Ich habe das auch von den stark verwurzelten Reformierten gehört. Sie haben die Feier als sehr würdig erlebt und sich gefreut über die Taube, das Symbol des Heiligen Geistes aus der katholischen Kirche, welches hier an der Stirnwand einen neuen Platz gefunden hat.
BS: Von katholischer Seite bin ich nach der Sommerpause unheimlich unter Spannung gestanden. Wir sind uns sonst gewöhnt, jedes Wochenende zu feiern. Diesen Sommer haben wir keine Gottesdienste angeboten, weil wir die Zeit für den Umbau brauchten. Viele haben mir im Voraus gesagt, wenn da oben so lange nichts los ist, dann orientieren wir uns neu. Gottseidank ist das nicht passiert, sie alle und viele mehr sind gekommen – ob aus Gwunder oder was auch immer die Motivation war, sie waren da.
EW: Ich habe mich sehr über das bunt gemischte Publikum gefreut. Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Nähe bzw. Konfession und sogar einige mit fehlender Konfession feierten an diesem Sonntag mit uns.
Wir haben das Wohnzimmer, das es vorher gewesen ist, in einen sakralen Raum verwandelt, dank den Elementen, die wir von der katholischen Kirche integrieren durften. Daniel Bertoldo
Der Neustart scheint also gelungen: eine Kirche, zwei Konfessionen. Wo gibt es denn noch Probleme mit der Akzeptanz, oder sind diese Bedenken alle verschwunden, ist das einfach gegessen, auch von katholischer Seite, dass die Kirche jetzt dann weg ist und man am gleichen Ort feiert?
EW: Ich bin nicht problemorientiert. Mein Fokus liegt jetzt darauf, die neue Praxis einzuüben. Wir möchten, dass sich Menschen hüben wie drüben in dem gemeinsamen Raum wohl fühlen. Der gemeinsame Raum schafft neue Begegnungsmöglichkeiten und Verbundenheit. Wir sehen darin ein unglaubliches Potenzial, eine neue Qualität. Man darf gespannt in die Zukunft blicken.
DB: Das tönt vielleicht etwas idealistisch, aber ich kann mich dem anschliessen, auch ausgehend vom Neustart, da hat wirklich das Positive obenaus geschwungen, und das müssen wir jetzt weiter pflegen. Und dort, wo allenfalls noch Unsicherheiten, Probleme bestehen, werden wir das früher oder später schon spüren. Dann gilt es, mit einer positiven Haltung daran zu arbeiten.
BS: Für mich hat jetzt etwas Bestand nach aussen, was wir im Team schon länger leben: Wir arbeiten seit geraumer Zeit in einem Haus, teilen uns die Räume, das gibt Kraft und Boden. Ich durfte erfahren, dass das mit dem gemeinsamen Kirchenraum wirklich funktioniert. Es braucht noch etwas Zeit und viele Absprachen. Und man muss sich auch an neue Abläufe gewöhnen, gerade auf katholischer Seite. Hier mussten wir beispielsweise in der Liturgie alles neu aufgleisen. Es ist in diesem Sinne noch nicht Routine. Aber es ist ein neuer Kraftort geworden. Auch dadurch, dass nun immer mehr Leute die gleiche Türklinke benutzen.
EW: Wir haben uns in den letzten dreiviertel Jahren intensiv mit der Gestaltung des gemeinsamen Raums beschäftigt. Ich vergleiche das jetzt mal – etwas salopp gesagt – mit einer Stilberatung. Wenn du zur Stil- oder Farbberaterin gehst und ein neues Outfit bekommst, ist es wahrscheinlich, dass du nach der Beratung anders auf Menschen wirkst. Etwas ähnliches ist auch mit unserem Kirchenraum passiert. Er hat mehr zu „Kirche sein“ gefunden, die „Stilberatung“ hat ihm gut getan.
Es ist ein neuer Kraftort geworden. Auch dadurch, dass nun immer mehr Leute die gleiche Türklinke benutzen. Barbara Stump
DB: Wir haben das „Wohnzimmer“, das es vorher gewesen ist, zusammen mit den Architekten Stauffacher und Gemperli in einen sakralen Raum verwandelt, dank den Elementen, die wir von der katholischen Kirche integrieren durften.
Neu ist ja die Gebetsecke der Katholiken, mit der Gottesmutter, dem Tabernakel, dem Ewigen Licht und den Opferkerzen. Fühlt sich Maria wohl in der reformierten Kirche?
BS: (schmunzelt) Ja, und ich glaube, die Leute, die Maria verehren, fühlen sich hier auch wohl.
EW: Auch Alois Rütsche, der den Tabernakel für die frühere Kirche gestaltet hat, ist zufrieden mit dem neuen Outfit des Tabernakels, obwohl das Kreuz aus gestalterischen Gründen entfernt werden musste.
Haben Sie von katholischer Seite nie Angst gehabt, dass die Leute nicht mehr kommen?
BS: Es waren im Vorfeld viele Stimmen zu hören, die sagten, wenn dieses oder jenes nicht mehr ist, dann kann ich mir es nicht mehr vorstellen. Aber ich glaube nicht, dass deswegen jetzt jemand nicht mehr hier in die Kirche kommt. Das ist auch ein Teil des Ablöseprozesses, wie beispielsweise wenn man zügelt und Vorstellungen hat, was man unbedingt mitnehmen will. Und dann steht man in der neuen Wohnung und findet, nein, das passt jetzt eigentlich nicht mehr.
EW: Ich staune, wie gross auf beiden Seiten die Bereitschaft ist, sich auf das Neue einzulassen. Ich hätte erwartet, dass am Eröffnungssonntag wirklich mehr kritische Stimmen zu hören gewesen wären. Ich habe lediglich die Stimme einer Quartierbewohnerin im Ohr, die immer noch traurig ist, aber betont, dass sie der neuen Kirche eine Chance geben will. Lediglich ein Reformierter betonte nach dem Gottesdienst die Chance, das reformierte Profil künftig viel bewusster und stärker öffentlich sichtbar zu machen.
Wie erklären Sie einem Katholiken diese unterschiedlichen Werte – wo ticken Sie anders?
EW: In der Tat gibt es Unterschiede. Lasst mich das an einem Beispiel zeigen. Wenn in einem Kirchenraum beispielsweise viele grosse Kerzen auf grossen Ständern angezündet sind, wirkt das für ein reformiertes Auge schnell mal opulent und pompös. Für sie gilt: je schlichter die Einrichtung, je besser. Je mehr nur das Wort Gottes im Zentrum steht, desto besser. Alles andere ist für sie unnötiger Firlefanz. Der Gottesdienst wird nicht feierlich dank oder gar aufgrund von sichtbaren Zeichen, sondern nur aufgrund des gesprochenen und gesungenen Wortes. Darin sehe ich im Blick auf die gemeinsame Nutzung des Raumes den grössten Unterschied zwischen den Konfessionen. Reformierte Christinnen und Christen finden nicht über sichtbare Zeichen zum Lob Gottes. Aber auch bei den Reformierten gibt es seit geraumer Zeit Kerzen, Blumen und Dekoration….
Haben nicht auch bei den Reformierten vermehrt Rituale und Zeichen Einzug gehalten?
DB: Richtig, es findet auch auf reformierter Seite eine Veränderung statt. Noch vor Jahren hättest du keine Kerze in die reformierte Kirche stellen können, ohne dass es Opposition gegeben hätte. Heute ist das gang und gäbe. Und trotzdem ist es so, die reformierten Gottesdienste werden weiterhin schlichter bleiben, werden wortlastig sein, im Gegensatz zu den Elementen auf katholischer Seite, die uns im ersten Moment noch fremd sind.
Ich finde es spannend, das Potenzial der Andersartigkeit wirklich mitzunehmen. Elisabeth Weber
EW: Die reformierte Schlichtheit hat auch eine Kehrseite. Ich spüre bei vielen Reformierten Berührungsängste. Niemand möchte Anderen auf die Füsse treten. Wir beziehen uns auf Christus und die Bibel und dabei belassen wir es dann auch. Im Unterschied zu unseren katholischen Geschwistern ist uns die Betonung des „Priestertums aller Gläubigen“ wichtig. Grundsätzlich trauen wir jeder und jedem zu, dass er die Bibel lesen kann und vom göttlichen Geist geleitet wird, sie zu verstehen und auszulegen. Wir Reformierte sind bekenntnisfrei unterwegs. Wir auferlegen niemandem, welches Bekenntnis verbindlich ist. Ich erlebe Katholiken in dieser Hinsicht, zumindest, was sichtbare Zeichen betrifft, viel verbindlicher. Ich finde es spannend, das Potenzial dieser Andersartigkeit auf den gemeinsamen Weg mitzunehmen.
DB: Wenn sowohl katholische wie reformierte Christen den Gottesdienst in der gleichen Kirche feiern, besteht die Chance, dass eine Annäherung geschieht und man plötzlich merkt, dass es eigentlich gar nicht so wichtig ist, ob jetzt eine Kerze oder anderer Gegenstand da steht oder nicht, sondern das Feiern miteinander, den Glauben teilen steht im Vordergrund – die Offenheit, dass jedes herzlich willkommen ist, egal was und wie gefeiert wird.
EW: Das ist schon eine fortgeschrittene Vision – aber ja, das ist das Ziel.
BS: Mich hat überrascht, dass es auch für Gruppierungen, wie beispielsweise die ökumenische Gruppe „Feiern im Alltag“, die jeweils am Mittwoch um 09.15 Uhr in diesem Raum die Liturgie gestaltet, wirklich stimmig ist. Dass dies über den gemeinsamen Kirchenraum möglich geworden ist, freut mich besonders.
Autor/in: Erich Gmünder | 20.09.2019 | Keine Kommentare | Tools: