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10.04.2020

Wohnen im Hitchcock-Haus

Gerüchtchen und Geschichtchen über die Villa am Waldrand.

Für lungenkranke Ehefrau erbaut? Über die Entstehungsgeschichte des «Geisterhauses» kursieren verschiedene Versionen. Foto: EG. 

Seit Generationen fasziniert die 1914 erbaute «Schattenburg» am Rande des Menzlenwaldes Spaziergänger und Anwohner. Gar nicht unheimlich sind ihre freundlichen Bewohner. Und vielfältig die Gerüchte, die sich um das Haus ranken.

Odilia Hiller (Der Artikel erschien am 21.7.2010 im St. Galler Tagblatt)

Es wird gemunkelt, ein italienischer Botschafter sei es gewesen, der für seine lungenkranke Gattin ein Sommerhaus an kühler und schattiger Lage bauen wollte. Andere erzählen von einem Immobilienspekulanten, der in St.Galler Boomjahren glaubte, den Grundstein für ein neues, elegantes Stadtquartier zu legen, als einst die Rede vom Bau einer Strasse zwischen Riethüsli und Haggen gewesen sei.

Janet Leighs Geist?

Bestätigen oder falsifizieren lassen sich diese Gerüchte nicht so leicht. Über die Entstehung des Hauses an der Wilenstrasse 36 zwischen Menzlen und Wattbach ist wenig bekannt. Es ist weder denkmalpflegerisch registriert noch – bis auf zwei Planskizzen im städtischen Bauarchiv – dokumentiert. Nicht zuletzt darum mag die vierstöckige Zwei-Türmchen-Villa die Phantasie von Generationen von Spaziergängern anregen, die dort in den letzten 96 Jahren vorbei spazierten und alle das gleiche taten: stehen bleiben, schauen und werweissen, wer im einsamen Haus wohl wohne. Eine böse Hexe? Der Geist von Janet Leigh aus «Psycho», der dem Haus einen seiner Übernamen gab? Weder noch.

Die jetzigen Bewohner des Hauses sind keinem Märchen entstiegen, sondern offene, freundliche und kreative Menschen, die ihr «Geisterhaus» richtig gern haben. Vor zehn Jahren hat es Walter Späti aus dem Besitz der Erbauerfamilie Strub gekauft. Die langjährige Hausherrin und Strub-Witwe genoss anfangs noch Wohnrecht, verliess ihr Geburtshaus aber nach kurzer Zeit in Richtung Altersheim. Eine spanische Designerlampe im abschüssigen Garten zeugt heute von den beruflichen Interessen des Hausherrn. Daneben grasen die Geissen, Köbi, Mathilde und Lotti, ebenfalls feste Mitglieder der Hausgemeinschaft.

Romantisch wohnen

Vor sieben Jahren zog eine Künstlerfamilie in die oberste Wohnung. Musiker Ralph Hufenus und Requisiteurin Susanne Kaufmann geniessen mit ihren beiden Söhnen Ruhe und Frieden am südlichsten Rand der Stadt. «Romantisches Wohnen am Waldrand» hatte es in Spätis Anzeige geheissen. «Wir haben alles, was man sich wünschen kann: fünf Minuten in die Stadt und hier das perfekte Landleben», sagt der Familienvater. Der neunjährige Sohn hilft dem benachbarten Bauern regelmässig mit den Kühen. Hinter dem Haus bringt auch mal eine Rehkuh ihr Junges zur Welt. Und am Himmel kreisten Milane und Bussarde, erzählt der Hausbesitzer vom Logenplatz hoch über den Spaziergängern.

Himmel und Höll

Dafür kommen Post und Zeitung erst am Nachmittag, die Kehrichtabfuhr und die Schneeräumung gar nicht. Das sei aber kein Problem, finden die Bewohner und räumen auf mit dem anderen Gerücht: der Schattenfrage. Bis 16 Uhr scheine die Sonne, im Winter durch die blätterfreien Äste sogar etwas länger. Dahinter blinzelt der Säntis hervor, das Qualitätsmerkmal schlechthin einer St.Galler Aussichtslage. «Höll» lautet der Flurname unterhalb der Wilenstrasse. «Dann sind wir hier im Himmel», sagt Spätis Lebensgefährtin Beatrice Züger lachend. Demnächst wird sie ihre Dépendance in der Stadt aufgeben und ganz an den Waldrand ziehen.

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