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7.04.2020

Der Menzlenwald unterhalb der Solitüde – unsere grüne Lunge

Martin Wettstein hat den Rundgang im Gegenuhrzeigersinn gemacht - eine richtige Verjüngungskur.

Die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner unseres Quartiers kennen diesen bewaldeten Hügel: die Menzlen, das heisst den Menzlenwald und die Solitüde. Er ist in Zeiten von Corona wohl der beliebteste Fluchtort unseres Quartiers: Jogger, Leute mit einem und zwei Stöcken, Eltern mit Kinderwagen, Radfahrer kreuzen sich hier am bewaldeten Fuss der Solitüde.

Unser Autor Martin Wettstein zählt ihn zu seinen Lieblingswegen und beschreibt einen Rundgang durch die grüne Lunge unseres Quartiers (aus: Magazin Riethüsli, 1/2017).

Seit wann und warum heisst’s eigentlich «Menzlen»? Da gibt’s nur eins: den Riethüsler Ernst Ziegler fragen, den ehemaligen Stadtarchivar, der die Antwort in den Namensbüchern von St.Gallen findet. – Seit dem 15. Jahrhundert heisst das Berglein in Variationen zum Beispiel Mäntzla, Mentzli, Entzlen und endet beim heutigen Menzlen. Im 16. Jahrhundert gibt’s die Vermutung, der Name sei vielleicht von «Mons Caeli» abgeleitet; das würde heissen: «Himmelberg».

Kein schlechter Name für das, was jetzt kommt. Machen Sie mit uns einen der geruhsamsten Waldspaziergänge der Stadt. Beginnen wir die etwa einstündige Wanderung am Ende der Hochwachtstrasse, am Waldeingang. Wir umrunden die Menzeln im Gegenuhrzeigersinn. Der Grund dafür leuchtet uns allen ein: Am Schluss des Spaziergangs sind wir sechzig Minuten jünger. Wir wandern bei jedem Wetter. Denn wir gehen ja nicht jedes Mal durch ein Bilderbuch. Es kann hier auch sehr kalt, eisig, ja glatteisig, regnerisch, neblig, heiss, schwül, kopfwehföhnig, schneefällig… sein. – Aber oft: Bilderbuch. Im Winter am schönsten bei frisch gefallenem, knirschendem Schnee und Weihnachtsbaum-Raureif. Im Frühling unter hellgrün luftigem Blätterdach. Im Sommer in schattiger Waldluft. Im Herbst unter Dunkelgrün, Gelb und Rostrot.

Impression: Bruno Ledergerber

Also: Bei Tageshelle hinein in den Wald. Flach und breit das Strässchen, sorgfältig gepflegt durch die Ortsbürgergemeinde, der ein grosser Teil der Menzlen gehört. – Nach etwa 400 Metern rechts neben dem Weg ein rätselhaftes Monument: ein Gedenkstein, etwa zwei Meter hoch, mit kaum lesbarer Inschrift: «F. Graf, Kantonaler Oberförster, 1919– 1932». Wie kommt ein Oberförster zu einem solchen Stein? Da könnte uns wahrscheinlich das Kantonale Forstamt Auskunft geben. Aber das bräuchte vielleicht doch etwas viel Zeit, um uns zu diesem Denkmal durchzufragen.

Falls nachher aus dem waldigen Abhang von unten eine verwilderte weisse Katze zu Ihnen auf die Waldstrasse hochsteigt und zutraulich mit Ihnen den Weg fortsetzt, immer in Ihrer Nähe, dann wundern Sie sich nicht. Sie wird irgendwann wieder umkehren, wenn sie ihre Reviergrenze erreicht hat. Wieder ein paar hundert Meter weiter steht links ein respektables Holzhäuschen mit Rundholzbänken davor. Türe natürlich geschlossen. Der Revierförster Patrik Hollenstein erklärt, das sei eine Schutzhütte, auch heute noch ab und zu gebraucht; früher für die Waldarbeiter gebaut. Werkzeuglager, Pferde-Remise, Schlechtwetter-Unterstand, Öfeli für grosse Kälte, Zmittag-Raum usw. – Manchmal sei aus diesem Häuschen sogar der Samichlaus gekommen, zur Freude und Angst der anwesenden Kinder.

Der Müscheli-Felsen

Das Strässchen steigt jetzt leicht an, bis zu einer rechtwinkligen Biegung gegen links. Dort führt es durch einen künstlichen Durchbruch. Sein graues und weiches Gestein in klobigen Schuppen ist eine geologische Merkwürdigkeit. Denn: Praktisch der ganze Menzlenhügel besteht aus Nagelfluh. (Wenn Sie gelehrt sein wollen, sprechen Sie von «Oberer Meeresmolasse», entstanden unendlich lange bevor es den Menschen gab; hochgestemmt aus Meereshöhe, wie unsere Alpen). In diesem Durchbruch hingegen handelt es sich um Sandstein, um Mergel, der zwischen der Nagelfluh liegt.

Fredi Hächler, Riethüsler Urgestein (hier im wörtlichen Sinn) nennt diese Formation rechts und links des Weges «Müscheli-Felsen», weil sie als Kinder oft in diesen Steinschichten Muschel-Versteinerungen gefunden hätten. Für Kinder ist allerdings das Hochsteigen in diesen Brocken nicht ungefährlich, denn sie brechen leicht ab. Weiter geht’s.

Schon bald kommen Sie an eine Abzweigung, die rechts abwärts und westwärts nach Haggen führt. Hier, auf der linken Seite des Weges, eine kleine Metall-Tafel auf Augenhöhe, in den felsigsandigen Rand eingelassen, mit der Inschrift: «Freiwilliger Arbeitsdienst 1937». Das Stadtarchiv St.Gallen in der Vadiana könnte erklären, was es mit diesem Arbeitsdienst auf sich hat. Weiter auf unserem Weg. Rechts zwei, drei kleine Pyramiden aus wirr zusammengebauten Ästen, welche Indianer-Tipis gleichen. Wohl Überbleibsel von Waldkindergarten-Aktivitäten.

Ein Einschub: Rilke hat einmal ein Pariser Kinder-Karussell beschrieben, ein Gedicht, in dem mehrmals die Wendung vorkommt: «…und dann und wann ein weisser Elefant». Hier müsste eingefügt werden: «…und dann und wann ein angestrengter Jogger» (oder eine Joggerin). Immer wieder laufen sie an uns vorbei, in der einen oder anderen Richtung, in gymnastisch richtigem oder falschem Laufschritt, der Gesundheit auf der Spur.

Bald führt der Weg aus den Bäumen heraus. Er bildet jetzt den Waldrand. Hier naht der Höhepunkt des Spaziergangs. Zunächst vorbei an einer überwachsenen und verrosteten Metallbank, deren Lehne von einem Baumstrunk buchstäblich aufgefressen wird. Aber die erhöhte Holzbank gleich darnach, 2003 erstellt vom Quartierverein Riethüsli, gehört wohl von der Lage her zu den schönsten von ganz St.Gallen. Denn hier sitzen Sie einem Alpstein-Panorama gegenüber, für dessen Anblick Sie keine 3D-Brille brauchen. Die ganze Kette von Kamor, Kasten, Stauberen, Altmann und Säntis bis zum Stockberg im Südwesten steht vor Ihnen: je nach Wetterlage und Beleuchtung im feinen Dunst, im knallhellen Licht, im schneeweissen Winter-Look, im überwältigenden Abend-Rosa, um nur ein paar Effekte zu nennen, die uns letztlich die Verschiebung der afrikanischen Erdplatte gegen Norden beschert hat.

Noch ein Wort zu den Bänken am Rand des Menzlenweges: Wenn Sie richtig zählen, kommen Sie auf etwa ein Dutzend, die meisten vom Quartierverein Riethüsli erstellt und unterhalten; die erhöhten Ruhebänke z.T. mit Holzstufen zugänglich gemacht durch das städtische Tiefbauamt.

Nach der Panoramabank ändert der Weg seine Bezeichnung. Er heisst jetzt Wilenstrasse. Gleich links steht eines der merkwürdigsten Häuser dieser Umrundung: die sogenannte «Schattenburg» oder das «Schattenhaus», Wilenstrasse 36. Die Journalistin Odilia Hiller hat im St.Galler Tagblatt vom 21.7.2010 das Haus und seine Bewohner (inklusive Ziegen) ausführlich und spannend beschrieben [abgedruckt im Magazin 1/2017 auf Seite 11].

Der Weg, der jetzt ansteigt gegen einen Bauernhof, führt zu einer letzten Bank an der Wand dieses Hofs. Hier ist’s im Frühling und Sommer oft angenehm warm, manchmal auch zu heiss. Vor dem Hof wacht ein Hahn über seine Hennen. Vorsicht ist geboten in seiner Nähe. Mich hat er einmal angesprungen und ins Knie gepickt, das Sauviech.

Letztes Stück: Auf einer Art Hochplateau Richtung Osten jetzt unvermittelt ein Ausblick auf den Bodensee und das deutsche Ufer. Und oft ein Schwall von plötzlicher Bise, die Ihnen kühl oder kalt entgegen weht. – Dann Abstieg zur Solitüdenstrasse. Glückliches Ende. Eine Stunde jünger!

Fotos: Erich Gmünder

(Der Beitrag erschien zuerst im Riethüsli-Magazin 1/2017)

1 Kommentar

  1. Peter Gonzenbach

    17.06.2023 / 18:25 Uhr

    Ein Wunderwerk des Riethüsli-Vereins, ein Geschenk für uns Bürger, die beim
    Wandern nicht nur an Vadian denken sondern auch bereichert an Wissen durch den Waldlehrpfad und ausgeruht auf den romantischen Bänklein nach hause zurück in die Stadt kehren, wie schon vor 70 Jahren, damals als Junge mit meinem Grossvater.

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