18.12.2009
Als das Riethüsli ein Olympiastadion wollte
Flugplatz statt Bernegghügel, Eisfeld etc.: Als das Riethüsli hoch hinaus wollte.
Vor 80 Jahren erhielt das Riethüsli eine Sprungschanze. diese verlieh unserem Quartier bis anfangs der sechziger Jahre einen Touch von Wintersportort. Das Quartier hegte aber noch ganz andere Ambitionen. Die nie verwirklichten Träume reichten von einer Eisbahn bis zu einem Olympiastadion inklusive Flugplatz. Ernst Ziegler ist diesen hochfliegenden Plänen, als das Riethüsli ein Mekka des Sports werden wollte, im Stadtarchiv wieder begegnet.
Ernst Ziegler
(Dieser Beitrag erschien in der Quartierzeitung Riethüsli-Magazin 3/2009)
Eine Eisbahn im Tal der Demut
Um 1914 hatte sich der «Westquartier-Verein St. Gallen» schon seit längerer Zeit «mit der Anlage einer Eisbahn im Tal der Demut» befasst. Dessen Präsident schrieb deshalb im November 1914 dem Bürgerratspräsidenten, ob die Ortsbürgergemeinde St. Gallen, als damalige Bodenbesitzerin, für den kommenden Winter ein geeignetes Grundstück im Riethüsli für eine Eisbahn versuchsweise überlassen würde: «Vorläufig würde es sich darum handeln, das Wasser daselbst an den tiefsten Stellen cirka 1.20 Meter tief zu stauen und hierauf die Eisbahn zu betreiben. Dieselbe sollte, wenn immer möglich, der Allgemeinheit kostenlos zugänglich gemacht werden.»
Aus verschiedenen Gründen lehnte der Bürgerrat dieses Gesuch ab. Im Dezember stellte der Quartier-vereinspräsident ein «Wiedererwägungsgesuch», in welchem es hiess, der Stadtrat würde, «analog wie auf Dreilinden», den Betrieb übernehmen, und bei einer Wasserstauung von etwa einem Meter würde sich eine Eisfläche von rund 10’000 Quadratmetern ergeben, «auf der wir nur den ruhigen Eissport ohne jede Zutaten wünschen. Dem Westquartierverein, der zwischen 600 bis 700 Mitglieder zählt, ginge hiermit ein seit Jahren gehegter Wunsch in Erfüllung.»
Dieses nochmalige Ansinnen fand jedoch keine Gnade, zumal auch der «Eisclub St. Gallen», der zur «Vernehmlassung» in dieser Eisbahnangelegenheit eingeladen worden war, allerhand Bedenken äusserte. Man hatte dort den Eindruck, «dass die treibenden Kräfte ein paar interessierte Wirte in der Gegend des Riethäusle» seien und «dass der Westquartierverein der Sache nur zu Gevatter stehen» müsste. Zudem glaubte der «Eisclub», dass dem «Eislaufbedürfnis» auch für die Gegend der oberen Teufener Strasse und des Quartiers Riethüsli genügend Rechnung getragen sein dürfte «mit der Eis-bahn in Bruggen und den Weiern auf Dreilinden».
Da der Bürgerrat seine Auffassung nicht änderte, blieb es beim Nein, und der Westquartier-Verein kam zu keiner Natureisbahn im Tal der Demut.
Olympia-Pläne fürs Riethüsli …
Vor über dreissig Jahren stiess ich beim Blättern in der «St. Galler Schreibmappe für das Jahr 1929» auf eine merkwürdige Skizze, die sich bei näherem Hinschauen als «eine Idee» eines «St. Galler Stadi-ons für die Olympiade anno 193? im Tal der Demut» herausstellte. Hermann Bauer veröffentlichte diese «amüsante Utopie eines St. Gallers» 1976 «im Zeichen der Olympischen Sommerspiele» in Montreal in der «Ostschweiz» und suchte zusammen mit der «Ostschweizer AZ» nach dem Schöpfer dieses verwegenen Projekts.
Gemäss Legende in der «Schreibmappe» war ein Rudolf Pfaendler der kühne Utopist – über welchen jedoch nichts weiter herausgefunden werden konnte. Wir wissen auch nicht, ob Pfaendler sein Stadion «im Ernst oder eher als Kuriosum» entworfen hat – jedenfalls fand die renommierte «Schreibmappe» der Buchdruckerei Zollikofer & Cie die «Idee» bedeutend genug, um sie 1929 zu publizieren. Heute, achtzig Jahre später, soll sie noch einmal hervorgezogen werden, ganz gewiss nun als Kuriosum und als Beitrag zu «St.Gallen, wie es nicht gebaut wurde».
Das Olympiastadion erstreckt sich über das ganze Tal der Demut, vom Riethüsli bis St.Georgen. Etwa dort, wo heute die Gewerbeschule (pardon, das «Gewerbliche Berufs- und Weiterbildungszentrum») steht, breitet sich der mächtige Haupttrakt aus und schliesst das Tal wie ein Staudamm ab. Der Mittelbau wird flankiert von zwei gewaltigen, auf Säulenkuben ruhenden Kuppeln. Vor der prunkvol-len Westfassade dehnt sich gegen das Nest zu eine Parkanlage aus.
Flugplatz statt Bernegghügel
Zwischen diesem Bauwerk, auf dem eine riesige Schweizerfahne flattert, und dem Dörfchen St. Georgen finden sich gemäss Legende ein «Riesenhotel, Cafés, Autorennbahn, Fussbalplatz, Bassin für Ruder- und Schwimmsport, Turnplatz, Flugplatz mit Tribünen etc.». Diesen Flugplatz – ein ganz besonderer Clou – gedachte Pfaendler durch Abtragen und Ausebnen der Bernegg zu gewinnen. Auf seiner Skizze ist folgerichtig – neben Runden drehenden Automobilen und Trambahnen ein Doppeldecker auszumachen, der soeben die «Start- und Landebahn Falkenport» Richtung Freudenberg verlassen hat. Das Riesenhotel mit einem offensichtlich dem Pantheon in Paris nachempfundenen Mittelbau erhebt sich etwa dort, wo seit dem Eidgenössischen Schützenfest von 1904 das Schützenhaus Weiherweid steht. Wahrhaftig, der unvergessene Redaktor der «Ostschweiz», Hermann Bauer, hatte recht: «an Phantasie und weitläufigem Lokalpatriotismus» fehlte es dem Rudolf Pfaendler nicht!
Autor/in: riethuesli.com | 18.12.2009 | Keine Kommentare | Tools: