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16.02.2008

Das Reisen war ihre Leidenschaft

Porträt: Erika Mangold trampte mit 22 um halb Europa

Die neue Ehrenpräsidentin mit Präsident Andi Gattiker (links) und Interimspräsident Manfred Göbbels. (Foto Erich Gmünder)

Seit bald 75 Jahren lebt sie an der Altmannstrasse; im gleichen Haus, wo sie mit ihren zwei Schwestern aufgewachsen ist: Erika Mangold. Die 81-jährige Ur-Riethüslerin hat sich 35 Jahre lang für den Nestweiher und seine gefiederten Bewohner engagiert, davon acht Jahre als Präsidentin. Ein Besuch bei der frischgebackenen Ehrenpräsidentin.

Erich Gmünder (erschienen in der Quartierzitig 1/2008)

Die Sonne blinzelt an diesem Frühlingstag in die gemütliche Stube im 3. Stock an der Altmannstrasse 12 – der Blick von Erika Mangold schweift durchs Fenster: «Da, wo jetzt die Wohnsiedlung steht, war einmal unsere Wiese, wo wir Skifahren lernten.»

Wie sich alles verändert hat im Riethüsli: Ein bisschen Wehmut schwingt mit, wenn Erika Mangold von den früheren Bewohnern erzählt, von den 12 Restaurants, die es damals noch gab, den 18 Läden – kaum jemand kennt die Geschichte und Geschichten des Quartiers besser.

Dass sie dem Nest immer treu geblieben ist, erstaunt, wenn man erfährt, wie sie mit 20 vom Reisefieber gepackt wurde. Zuerst war sie als Au-pair in Brüssel und später in Südengland. Danach trampte sie zusammen mit einer Freundin 5 Monate lang durch halb Europa – so lange, bis beide kein Geld mehr hatten und es nur noch für die Heimreise reichte. Zwischendurch arbeiteten sie mal als Tellerwäscherinnen, mal als Zimmermädchen, um die Weiterreise finanzieren zu können. Viel gäbe es zu erzählen, zum Bespiel von Lappland, wo sie nach einem Unfall im Spital landete, oder von Hamburg, wo sie ein paar Jahre nach Kriegsende aus dem Zug heraus die zerbombte Stadt erlebte.

Von der Tramperin zur Geschäftsreisenden

Vorausgegangen war dem Trip eine Stelle als Au-pair im Tessin und eine Lehre als Telefonfräulein: Im obersten Stockwerk der St. Galler Hauptpost stöpselte sie die Anrufe durch – was sie bald langweilte. Deshalb brach sie vier Tage nach dem 20. Geburtstag zu ihrem Abenteuer auf. Gut zwei Jahre später kehrte Erika Mangold in die Schweiz und an die Altmannstrasse zurück – und sollte hier für immer bleiben. Sie konnte den Vater überzeugen, dass er ihr und den beiden Schwestern die Wohnung im Parterre überliess.

Von hier aus fand sie dann bald jenen Arbeitsplatz, dem sie 39 Jahre lang treu bleiben sollte: Die Conservenfabrik in Bruggen. Ihre Sprachenkenntnisse aus den Wanderjahren (Italienisch, Französisch und Englisch) waren gefragt; sie war nicht nur Direktionssekretärin, sondern bald auch zuständig für den Einkauf. Dieser Job führte sie wieder hinaus in die Welt, um mit Bauern und Grossproduzenten Verträge abzuschliessen oder Produktion und Lieferung zu überwachen.

Nun war sie wieder in halb Europa unterwegs, allerdings mehr im südlichen Teil, und nicht mehr mit Rucksack und Wanderschuhen, sondern in eleganten Deux-pieces und mit dem Flugzeug. Die «Consi» ging dann später an die Hero in Lenzburg über, Erika Mangold wurde zur Personalchefin befördert, mit über 200 Angestellten.

Eine Frau in Männerdomänen

Eine Frau mit solcher Verantwortung vor sich zu haben, das war für viele Männer damals ungewohnt. Sie erinnert sich: „Es kam nicht nur einmal vor, dass jemand am Telefon barsch nach dem Chef verlangte. Wenn ich sagte, der Chef ist bei uns eine Frau, er müsse mit mir vorlieb nehmen, dann wurde oft wütend aufgelegt“. Oder beim Zollamt hiess es: «Weiber haben hier nichts verloren».

Gleichstellung der Geschlechter war damals ein Fremdwort. Doch Erika Mangold wusste sich zu wehren. Einmal, so erzählt sie, ging sie mit dem ganzen Personaldossier nach Lenzburg und holte für alle Frauen eine Lohnerhöhung von 200 Franken heraus. – Doch mit dem Standort Bruggen ging es abwärts. Bei ihrer Pensionierung 1990 war sie die letzte Mitarbeiterin. Ihr letzter Job: da-für sorgen, dass alles ordnungsgemäss geräumt und alles richtig archiviert wurde.

Liebe zum Weiher – und zum Federvieh

Erika Mangolds war 1973 die erste Frau in der Nestweiher-Gesellschaft. Auch hier brach sie in eine Männerdomäne ein: Seit der Gründung war das eine reine Männerrunde gewesen und hatte nur aus einem Vorstand bestanden. Bald gab es erstmals Statuten – und innert weniger Jahre einen rasanten Mitgliederzuwachs.

Erika Mangold zeigt mir den wertvollsten Schatz: Das dicke Protokollbuch der Nestweiher-Gesellschaft. Besonders lesenswert: die zahlreichen Zeitungsartikel aus den Gründungsjahren, die hier eingeklebt wurden. Sie hat selber viele lustige und traurige Episoden beigesteuert. Wie zum Beispiel die Geschichte vom Gänserich Hanspeter.

«Hanspeter hat mich jeweils schon von weitem erkannt und mit lautem Schnattern begrüsst. Man konnte aber gut mit ihm reden. Er war sofort still, wenn ich ihm sagte, er müsse sich noch gedulden, weil ich mit meinem Hund zuerst noch eine Runde machen wollte», erinnert sich Erika Mangold. 

Hanspeter kam unter tragischen Umständen ums Leben – er wurde von einem gewalttätigen Schwan tödlich verletzt – seither gibt es keine Schwäne und keine Gänse mehr im Nestweiher.

Das dicke Buch muss sie nun mit anderen Akten an den neuen Präsidenten übergeben. Die wichtigsten Fakten und schönsten Geschichten hat sie jedoch schon längst in einer Jubiläumsbroschüre für die Nachwelt erhalten – ein Stück lesenswerte Quartiergeschichte!

Erste Quartierblatt-Redaktorin

Erika Mangold bildete zusammen mit Willi Leopold und dem im Quartier aufgewachsenen Journalisten Harry Rosenbaum die erste Redaktion. Die Zeitung, die vorher nur einmal jährlich erschienen war, erhielt ein professionelles Layout und kam viermal im Jahr heraus. Die mittlerweile etwas vergilbten Nummern aus jener Zeit zeugen von einem journalistischen Zugriff und akribischer Recherche.

Erika Mangold nahm in Kauf, nicht von allen geliebt zu werden. So beteiligte sie sich an der Opposition gegen die Überbauung am Ringelberg. Das trug ihr im Vorstand des Quartiervereins nicht eben Freunde ein. Trotzdem wurde ihr später die Redaktion des Quartierblatts anvertraut.

Erika Mangold – Entenfreundin und Ur-Riethüslerin – hier bei einem Besuch «ihrer» Enten im Exil (während der Sanierung) in St. Pelagiberg. Foto Marianne Kuster

Abschied von Erika Mangold – Sie kämpfte für die Natur und die Schöpfung

Andi Gattiker neuer Präsident

An der Hauptversammlung 2008 der Nestweiher-Gesellschaft übernahm Andi Gattiker von Erika Mangold das Präsidium. Auch er ist ein waschechter Riethüsler und im Quartier aufgewachsen. Zusammen mit Interimspräsident Manfred Göbbels hatte er die Vereinsgeschäfte während der anspruchsvollen Sanierungsphase nach dem krankheitsbedingten Ausfall von Erika Mangold interimistisch geführt.

Erika Mangold wurde für ihre Verdienste mit grossem Applaus zur Ehrenpräsidentin ernannt. Neu in den Vorstand gewählt wurde Marianne Meili, Nestweiherstrasse 21. Die Einweihung der sanierten Anlage wird am 23. August mit einem grossen Fest gefeiert. 

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