27.

1.03.2024

Auf den Spuren der Kinder im Wald

Seit 25 Jahren gibt es im Riethüsli einen Waldkindergarten mit Spielgruppe.

Seit 25 Jahren dürfen St. Galler Kinder den Kindergarten im Wald besuchen. Was als verrückte Idee begann, feierte  2023 Jubiläum. Nun gehen bereits Kinder von ehemaligen Waldkindern in die Basisstufe oder den Kindergarten im Wald.

Claudia Jakob, Text und Fotos

Ich durfte den Kindergarten im Falkenwald einen Morgen lang begleiten, die Kinder haben mich miterleben lassen und haben mir ihre wunderbare Welt im Wald gezeigt.

Wann geht es endlich los?
Es ist eisig kalt an diesem Montagmorgen, als ich auf die Kindergartenklasse treffe, die von der Lehrperson Rachel Wydler und dem Praktikanten Nuno Ribeira de Matos unterrichtet wird. Einige Eltern bilden mit den Kindern einen Kreis, es wird ein Ankommenslied gesungen. Ein Kind möchte nicht im Kreis dabei sein, ein anderes plappert die ganze Zeit dazwischen. Ich spüre eine Nervosität und einen Tatendrang, die Kinder wollen, dass es endlich losgeht. Doch Rachel und Nuno lassen sich nicht davon beeindrucken – sie bleiben ruhig und geduldig.


Anschliessend heisst es für alle: Auf zum Morgenplatz! Ich merke schnell, dass die Kinder Wegmarken haben, an welchen sie warten müssen. Zwischendurch gibt Rachel den Input, dass die Kinder sich gegenseitig erzählen sollen, was sie in der Indoorwoche geschätzt haben. Denn in der Woche davor verbrachten die Waldkinder die Unterrichtszeit in Räumen, sie zogen Kerzen, bastelten, malten – so wie es die meisten von uns es aus ihrer eigenen Kindheit kennen.

Rituale geben Struktur

«Was hat sich denn im Wald verändert, während wir in der Indoorwoche waren?», fragt Rachel die Klasse. Es wird nicht aufgehalten, sondern einfach geredet. Trotzdem gibt es kein Dreinreden, die Kinder warten geduldig, bis sie an der Reihe sind mit Sprechen.

Am Morgenplatz angekommen, warten alle vor dem Eingang, nur ich gehe zu weit. Ein Kind weist mich freundlich darauf hin, dass ich noch nicht reindarf, erst wenn der Name genannt wird. Die Kinder werden der Reihe nach aufgerufen und betreten den Morgenplatz. Einige grüssen die Bäume, sie sagen ihnen «Guten Morgen» und legen die Hand auf. Andere rennen direkt zum Platz und freuen sich über den Schnee, der auf den Baumstämmen liegt.

Während Rachel die einzelnen Kinder losschickt, hat Nuno den Platz hergerichtet. Die Kinder fassen am Montag jeweils ihr Ämtli für die Woche: Es gibt das Znünikind, das Wasserkind, das Feuerkind und das Kerzenkind. Die Kinder stellen ihr Ämtli vor, sie sind stolz darauf, dass sie etwas für die Gemeinschaft beitragen können.

Auf zum Tintenfischplatz!

Es ist ruhig geworden, die Kälte nimmt überhand. Deshalb bleiben wir nur kurz am Morgenplatz und gehen nun weiter zum Tintenfischplatz. Um diesen zu erreichen, lassen sich verschiedene Wege nehmen. Rachel stellt der Klasse ein Rätsel, welches nicht ganz einfach zu lösen ist. Wichtig ist, dass alle Hinweise miteinbezogen werden, das heisst, die Kinder müssen aufmerksam zuhören. Doch bald ist die Lösung gefunden: Wir laufen über den Pilzplatz zum Tinten-fischplatz.

Auf dem Weg hoch beobachte ich die Kinder, wie sie aneinander nachjagen, mit der Freundin lachen, ein anderes Kind ärgern oder sich schon sichtlich erschöpft den Hügel raufkämpfen, ganz normale Kids also. Irgendwann schleicht sich ein Kind an mich heran und beginnt mich auszufragen, ich wurde also akzeptiert und für den Morgen in die Kindergartengruppe aufgenommen, was mich sehr freut. Wir kämpfen uns durch die Natur rauf zum Tintenfischplatz. Oben angekommen, verteilt das Znünikind die Sitzmatten, damit wir nicht zu schnell frieren.

Endlich Znüni

Nun ist es 9.45 Uhr, vor einer Stunde hat der Kindergarten begonnen. Die ersten Kinder klagten schon um 8.50 Uhr über Hunger, jetzt wird er endlich gestillt. Bevor aber geschlemmt wird, warten alle, denn es folgt ein weiteres Ritual: Die Kinder stellen pantomimisch das Essen des Znüni dar, es wird «än Guätä» gewünscht und dann kramen alle in ihren Rucksäcken. Ich sehe wenige Brotdosen, viel mehr Wärmebehälter. Da drin befinden sich Buchstabensuppe, Nüdeli, Porridge – ein toller Wärmespender in dieser Kälte. Zum Glück habe ich auch etwas dabei, die Kinder fragen nämlich neugierig, was ich esse. Und natürlich geht es nicht lange und ich teile mit ihnen meinen Znüni.

Die Kinder sind zufrieden und freuen sich über die Mahlzeit. Gestärkt heisst es nun: Ab auf die Toilette, anschliessend wird gespielt.

Freies Spiel in der freien Natur

Ich sehe keine Bastel-, Baby- oder Legoecke. Die Kinder finden sich trotzdem schnell in ihrem Spiel. Einige haben Wurfspeere, andere suchen nach Spuren, wieder andere spazieren und reden. Als ich mich einer Gruppe nähere, darf ich nicht zuhören, sie sind auf geheimer Mission.

Es ist angenehm ruhig im Wald, die Kinder geniessen das freie Spiel. Ich frage mich, ob meine Kinder an ihrem Waldtag auch so ruhig sind, ist es doch nicht alltäglich für sie, im Wald Unterricht zu haben.
Ich versuche mit Klara, einem aufgeweckten Mädchen, mit welchem ich den Znüni geteilt hatte, ein Gespräch zu führen. Sie ist aber damit beschäftigt, den Schnee vom Baumstamm zu fegen, ich erhalte nur einsilbige Antworten. Jedoch scheint sie sehr glücklich zu sein im Wald.

Ein überzeugendes Konzept


Im Riethüsli gibt es die Waldspielgruppe sowie den Waldkindergarten. Am zweiten Standort in der Notkersegg finden sich eine Waldkrippe und eine Basisstufe. Diese beinhaltet die beiden Kindergartenjahre und die 1./2. Klasse. Da die Kinder von allen vier Stufen gleichzeitig unterrichtet werden, ist dieses Modell durchlässiger und lässt sich nicht durch einen Stichtag Grenzen aufzwingen. Kinder entwickeln sich unterschiedlich, sie brauchen ihre Zeit. Eine Unterteilung in Schuljahre, wie wir sie kennen, wirkt unnatürlich, ist manchmal auch einengend und lässt wenig Spielraum für Musse und Zeit.

Die Kinder lernen viel im Wald, ich beobachte ein Mädchen dabei, wie es seinen Namen in den Schnee schreibt und über die Schreibweise diskutiert. Um Wissen zu vermitteln, braucht es keine Arbeitsblätter, sondern Erfahrungen. Mit Herz, Hand und Kopf lernen – im Wald gelingt es! 

weitere Informationen: www.waldkinder-sg.ch

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