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3.08.2023

„Einen solchen Erfolg hätte ich mir nie träumen lassen“

Reportage in der Riethüsli Zytig 2008: Eine Reise zu den Projekten von „Hand für Afrika“.

Wasser für 20’000 Menschen: mit Pickel und Schaufel und in gleissender Hitze wird ein 1,3 Kilometer langer Graben ausgehoben, der dann das kostbare Nass bis ins Dorf bringt

(Archivbeitrag: Quartierzytig Riethüsli, August 2008)

Anfangs Mai (2008) reiste eine Gruppe um Agnes Benz nach Senegal, um die Projekte des von ihr gegründeten Hilfswerks „Hand für Afrika“ an Ort und Stelle kennen zu lernen. Höhepunkt der Reise war die Einweihung eines Schulhauses, dessen Bau und Betrieb dank Hand für Afrika ermöglicht wurde.

Text und Fotos Erich Gmünder

Agnes Benz wurde bei ihrer Ankunft wie ein Staatsgast empfangen und geehrt. Und nicht nur das: überall, wo die Gruppe um die tatkräftige Hausfrau aus dem Riethüsli auftauchte, leuchteten die Augen bei gross und klein.

Drei Schulen und ein Wasserprojekt besuchte die Gruppe aus der Schweiz. Zwei der Schulen sind praktisch ausschliesslich durch Hand für Afrika gebaut und finanziert worden, eine dritte wurde massiv erweitert. Über 1200 Schüler bekommen in diesen Schulen ihre Grundbildung. Kinder, die vorher zum Teil in halbverfallenen Gebäuden oder gar im Freien unter schattigen Bäumen unterrichtet wurden.

Kampf dem Analphabetismus

Der erste Besuch galt Ngascop, einem Dorf etwa 4 Autostunden von Dakar entfernt. 580 Schüler, vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse, werden alleine hier unterrichtet. In den einfachen Schulzimmern sitzen bis zu 50 Kinder. Die verrosteten Pulte und alten Schiefertafeln täuschen: das Niveau ist erstaunlich hoch. Die Schüler büffeln Französisch, zweite Landessprache neben dem senegalesischen Wolof. Die grösseren Schüler können sich damit schon erstaunlich gut verständigen.

Die Einrichtung dieses Kindergartens stammt aus St. Gallen – sie kam per Container nach Senegal.

Rund 65 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten, viele Kinder haben immer noch keinen Zugang zur Bildung. Bildung ist deshalb für Agnes Benz die nachhaltigste Investition: „Wir wollen, dass die Kinder die Grundlage erhalten, um sich am Aufbau der Gesellschaft zu beteiligen und sich für menschenwürdige Verhältnisse einzusetzen. Es ist Entwicklungshilfe von unten“.

Bildung als Mittel zur Emanzipation

Und in der vorwiegend muslimischen und patriarchalischen Gesellschaft ist die Schule der einzige Ort, wo Emanzipation gelebt und erlernt werden kann. Das wird deutlich bei der Einweihung am Sonntag. Schülerinnen und Schüler zeigen in einem Sketch, wie ein skeptischer Vater („Frauen gehören an den Herd“) überzeugt werden kann, dass Schulbildung auch für Töchter eine gute Investition in die Zukunft ist. Agnes Benz kommt das bekannt vor: Ihr selber wurde vor rund 50 Jahren mit ähnlichen Argumenten eine Berufsausbildung erfolgreich ausgeredet…

In Senegal ist die Situation für Mädchen jedoch heute noch oft aussichtslos: manche werden hier schon mit 15 verheiratet und müssen dann auf Druck der Familie die Schule verlassen.

Wenn die hochrangigen Delegationen vom Bildungsministerium, vom Senat und vom Dorf – die meisten sind Muslime – die Botschaft der Schüler nicht gerne hören, lassen sie sich jedenfalls nichts anmerken. Agnes Benz wird für ihre Arbeit mit dem Hilfswerk gleich mehrfach geehrt und mit sinnigen Präsenten beschenkt.

Zwei Kühe als Festessen

Die Schulhauseinweihung selber könnte gleich oder ähnlich irgendwo bei uns stattfinden: Ein Gottesdienst, lange Reden, Darbietungen der Schüler und ein Festessen. Zur Feier des Tages wurden zwei Kühe geschlachtet, auch sie ebenso wie der Reis gestiftet von Hand für Afrika. In Gruppen kochen die Frauen in grossen Blechtöpfen die Zutaten. Sippenweise wird danach im Schatten der riesigen Affenbrotbäume gegessen – bei 42 Grad im Schatten und einem heissen Saharawind, der einem Haarfön alle Ehre machen würde. Die Gäste aus der Schweiz sind unter Zeltdächern etwas geschützt vor Sonne und Wind, doch irgendwann müssen sie fast fluchtartig aufbrechen, weil die ungewohnte Hitze ihnen arg zusetzt.

(Weitere Fotos in der Galerie unten)

Hand in Hand mit Pater Ambrosius

Für die Projekte vor Ort verantwortlich ist der katholische Priester Pater Ambrosius Tine, 54. Ihn hatte Agnes Benz kennen gelernt, als er bei Bekannten in St. Gallen auf Besuch war, und ihn spontan für einen Gottesdienst im Riethüsli eingeladen. Als er ihr vorgestellt wurde, sei sie schon etwas erschrocken: „So schwarz hatte ich ihn mir nicht vorgestellt“. Das ist mittlerweile acht Jahre her. Jahre später besuchte sie Abbé Ambroise – wie er in Senegal genannt wird – und verlor ihr Herz an das Land und seine ärmliche Bevölkerung.

Wieder zu Hause, begann sie zu sammeln, und als die ersten paar tausend Franken beisammen waren, gründete sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn Christoph sowie Freunden und Bekannten den Verein „Hand für Afrika“. Abbé Ambroise gleist vor Ort Projekte auf, sie sorgt mit dem Verein für die Finanzierung.

In den letzten fünf Jahren reiste Agnes Benz rund ein Dutzend Mal nach Senegal, um die Projekte und ihre Nachhaltigkeit vor Ort zu überprüfen. Abbé Ambroise ist selber in ärmlichen Verhältnissen in einem kleinen Hüttendorf aufgewachsen und hat über 20 Jahre als Dorfpfarrer gewirkt. Mittlerweile ist er Generalsekretär von Caritas Senegal in Dakar sowie Bischofsvikar von Thies, doch kümmert er sich immer noch persönlich um die Projekte von Agnes Benz’ Organisation.

Was die beiden zusammen aufgebaut haben, funktioniert: die Schulen wachsen laufend, das Angebot – zum Beispiel Computerunterricht für Kinder und Erwachsene – wird erweitert, neue Projekte werden geplant.

Trinkwasserversorgung für 20’000 Menschen

In Mont-Rolland wurde unweit der Schule auch eine Wasserversorgung für 20’000 Menschen aufgebaut. Auch sie funktioniert noch. Das Rezept: Die Betroffenen werden zu Beteiligten gemacht.

Wir treffen eine Gruppe Dorfbewohner auf dem freien Feld in der sengenden Hitze. Die Mehrheit Frauen, aber auch eine Handvoll Männer. Mit Pickel und Schaufel heben sie in gleissender Hitze einen rund 50 Zentimeter tiefen Graben aus und legen die Kunststoffröhren hinein. Rund 1,3 Kilometer lang wird die Leitung. Sie bringt das kostbare Nass nicht nur ins nächste Dorf, sondern dient auch zur Bewässerung der Felder.

Keine Missionierungsabsichten

Die Projekte des katholischen Priesters kommen allen zugute, unabhängig von ihrer Religion. 90 Prozent der Senegalesen sind Muslime, nur knapp 9 Prozent Christen, vor allem Katholiken. „Proselytismus, also die Bekehrung Andersgläubiger durch Hilfsangebote, ist in der katholischen Kirche schon lange verboten. Wir missionieren nicht, aber wir evangelisieren, durch unsere Arbeit. Unser Motto: Nicht über Jesus reden, sondern so leben, dass dich die anderen nach Jesus fragen“, erklärt Abbé Ambroise seinen Ansatz.

Ein Glücksfall

Für Agnes Benz ist der rührige Priester ein Glücksfall: „Ohne ihn wäre es nicht möglich gewesen, in so kurzer Zeit so viel aufzubauen“. Dank seiner Kompetenz arbeitet der Verein auch so günstig, dass jeder Spendenfranken ohne Abzug zu 100 Prozent direkt zu den Betroffenen komme. Einzig Bank- und Portospesen werden durch die bescheidenen Mitgliederbeiträge abgedeckt, alle Reisespesen etc. tragen die Verantwortlichen persönlich.

Beeindruckt von den Leistungen von „Hand für Afrika“ zeigt sich auch der Schweizer Botschafter in Dakar, als er die Gruppe um Agnes Benz empfängt. Dass innert so kurzer Zeit über 1,1 Mio. Franken zusammen gekommen sind, sei für eine private Initiative schon „aussergewöhnlich“.

Überzeugt von der Effizienz ist offensichtlich auch der Bund resp. die Deza, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit: Sie hat diverse Projekte mitfinanziert.

Erich Gmünder

500 Patenkinder

Agnes Benz schätzte sich ein Jahr nach Gründung ihres Hilfswerks bereits sehr glücklich, als sie 20 Patenkinder vermittelt hatte. Mittlerweile sind es über 500. Fast jeder zweite Schüler hat somit Pateneltern in der Schweiz. Etwa 50 von ihnen erhielten bei unserem Besuch Geschenke von ihren Pateneltern in der Schweiz.

Darunter auch die elfjährige Clarisse Diou, die an diesem Tag krank zu Hause im Bett lag. Die Pateneltern, die in der Delegation mitreisten, liessen es sich nicht nehmen, ihr die einfachen Geschenke persönlich nach Hause, sprich in die ärmliche Hütte der zwölfköpfigen Familie zu bringen. Die strahlenden Augen der Kinder und die Dankesworte der Mutter seien für sie mindestens ein ebenso grosses Geschenk gewesen, erzählte das Paar aus dem Riethüsli anschliessend.

Die Patenschaft ist aber vornehmlich symbolisch: Die 120 Franken werden für den Schulbetrieb eingesetzt und kommen somit allen Kindern zugute, keines soll vom Schulbesuch ausgeschlossen werden, nur weil die Eltern den bescheidenen Beitrag nicht bezahlen können, sagt Agnes Benz

Verstehen Spass. Senegalesinnen “lesen” unsere Quartierzeitung.

Quartierzeitung Riethüsli Magazin August 2008

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