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21.02.2020

Stefan Staub: «Im Riethüsli habe ich viel gelernt»

Doris Leuthard im Predigtgespräch - am 1. März in Teufen.

Stefan Staub mit dem prominenten Gast vor voll besetzten Kirchenbänken in Teufen. Foto: zVg.

Das Gespräch in voller Länge hier auf Youtube

Erich Gmünder

Es ist wohl der prominenteste Gast, den Stefan Staub in seiner Predigtreihe „Gespräch an der Kanzel“ am 1. März in Teufen begrüssen dufte: Doris Leuthard, alt Bundesrätin.

So berichtete das Tagblatt über den prominenten Besuch in Teufen. Tagblatt, 1. März 2020

Der Pfarreileiter unserer Nachbargemeinde Teufen wechselte vor genau 10 Jahren vom Riethüsli ins Appenzellerland und gibt nun im Interview Auskunft über seine Kanzelgespräche, sein Kirchenverständnis und überhaupt sein Leben nach der Riethüsli-Zeit.

Diakon Stefan Staub in «seiner» Kirche. Foto: EG

Seit vielen Jahren laden Sie prominente Gäste aus Politik und Wirtschaft zum Gespräch an der Kanzel ein. Mit der (noch jugendlichen) Alt-Bundesrätin Doris Leuthard kommt nun wohl die bekannteste Schweizer Politikerin unserer Zeit am 1. März nach Teufen. Was hat Sie zu dieser Einladung bewogen und wie hat die CVP-Politikerin darauf reagiert?

Stefan Staub: Als Seelsorger und Pfarreileiter habe ich ein vitales Interesse, dass im Raum der Kirche das Leben in seiner Fülle thematisiert wird. Leben ist für mich mehr als die sonntägliche Predigt eines Seelsorgers. Schon immer lockte es mich, Menschen aus dem öffentlichen Leben an die Kirchenkanzel einzuladen und

Doris Leuthard im Gespräch an der Kanzel

Zwölf Jahre gestaltete und bestimmte die CVP-Frau und Bundesrätin Doris Leuthard die Wirtschaft- und Verkehrspolitik der Schweiz mit. Davon stand sie zwei Jahre als Bundespräsidentin vor. Ihr Lachen war nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch ein Ausdruck ihres Wesens.

Rund ein Jahr ist es her, seit Doris Leuthard die Politbühne in Bundesbern verlassen hat. «Die Staatsfrau mit Charme und Charisma» oder «Die Jahrhundert-Bundesrätin» schrieben Medien zum Abschied. Wie denkt sie heute über ihre politische Zeit und über die Politik in und um die Schweiz? Was ist für sie als gute und schlechte Erfahrung geblieben? Haben Werte und Menschlichkeit – oder gar das «C» der CVP –  in der Politik noch Platz? Welche Hoffnungen teilt sie? Was beschäftigt oder ängstigt sie, wenn sie an die Zukunft denkt?

Am ersten Fastensonntag, 1. März 2020 um 10 Uhr ist sie in der Pfarrei Teufen zu Gast. Im Pfarreigottesdienst stellt sie sich im «Gespräch an der Kanzel» den Fragen des Teufner Pfarreileiters Stefan Staub zu Themen von Zukunft, Glaube, und der politischen Landschaft in und um die Schweiz. Der Gottesdienst wird musikalisch umrahmt durch die Gesänge und Zäuerli des Jodlerclubs Teufen. Im Anschluss sind alle Gottesdienstbesucherinnen und -besucher zum Austausch mit Doris Leuthard eingeladen. Dazu offeriert die Pfarrei einen Apéro an alle.

mit ihnen zu grundsätzlichen Themen des Lebens ein Gespräch zu führen. Doris Leuthard, als prominente Vertreterin jener Partei, die aus dem katholischen Milieu entstanden ist, einzuladen, liegt doch irgendwie auf der Hand. Und tatsächlich sagte sie zu. Der Grund war aber nicht allein mein einladender Brief, sondern ihre Recherche über unsere Pfarrei. Unser Engagement in Nordirak habe den Ausschlag für sie gegeben, wie sie selber sagt.

Gibt es Fragen, wo Sie besonders gespannt sind, wie sie antworten wird?

Sicher die aktuelle Debatte über das «C» der CVP, aber ebenso auch andere Fragen, zum Beispiel, wie sie umgeht mit Niederlagen, was ihre grösste Freude im Leben war, wie sie die Stellung der Religion in der Gesellschaft sieht oder ob sie Angst vor dem Sterben hat. Halt Fragen, die jeden Menschen beschäftigen.

Nun geht es ja vermutlich nicht nur um Politik, sondern um den persönlichen Bezug zur Kirche, um den Glauben und die Weltanschauungen. Wie Sind Ihre Erfahrungen mit Ihren früheren Gästen in diesen Themenbereichen – wie freizügig geben sie Einblick in ihre persönlichen Anschauungen?

Erstaunlicherweise haben die allermeisten offen und ehrlich geantwortet. Ich versuche entsprechend bei der Auswahl der Gäste darauf zu achten, dass ihnen solche Themen nicht völlig fremd sind. Schliesslich ist das Gespräch bewusst anstelle einer Sonntagspredigt ein Teil des Gottesdienstes.

Gespräch an der Kanzel mit SRF-Moderator Röbi Koller. Foto: EG

Erinnern Sie sich an ein paar besonders lustige Anekdoten?

Ja, einige bleiben mir in besonderer Erinnerung: So als ich Simon Enzler gefragt habe, was für ihn im Himmel nicht fehlen darf, da sagte er: Appenzeller flüssig. Oder als der stellvertretende Chef der Armee, Korpskommandant Aldo C. Schellenberg, ehrlich über seine persönlichen Schwächen sprach und sagte, dass ihm eine einstündige Ansprache über Militärstrategien in der OLMA-Halle weniger Kummer bereite, als das Gespräch über Gott und die Welt mit mir….

Einer der ersten Gäste an der Kanzel: Stadtpräsident Thomas Scheitlin in der Kirche Riethüsli (2009).

Die Idee zur Gesprächsreihe hatten Sie ja bereits früher im Riethüsli umgesetzt. Seit ziemlich genau 10 Jahren sind Sie nun Pfarreileiter in Teufen. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus über den Wechsel ins Appenzellerland?

Teufen ist nicht pures Appenzell, sondern eine Mischung zwischen urbaner Vorstadt und dem Appenzellerland. Hier zu wirken und zu leben, ist ein Privileg. Einerseits sind die Menschen sehr offen und empfänglich, andererseits ist die Pfarrei sehr heterogen.

«Im Riethüsli habe ich viel gelernt.» Stefan Staub

Die Pfarrei erstreckt sich nämlich vom Wattbach, also von der Riethüsli-Grenze bis kurz vor Gais. Dazu gehört zudem auch ein Teil von Stein. Da kann es vorkommen, dass ich am selben Tag in einer 3-Millionen-Villa in Niederteufen zu einem Hausbesuch eingeladen bin und anschliessend in einem ärmlichen Appenzeller Knechtenhaus zwischen Bühler und Hoher Buche − ohne Warmwasser im Haus. Das alles gibt es in dieser Pfarrei. Es sind wie Paralellwelten.

Die farbigen Fasnachtsgottesdienste bleiben in Erinnerung, hier mit Pfarrer Alfons Sonderegger und der Clownin Heidi.

Wie konnten Sie von den Erfahrungen in der kleinen Pfarrei Riethüsli profitieren?

Im Riethüsli habe ich viel gelernt. Ich durfte dort mutig neue Wege gehen, die ersten Gespräche an der Kanzel fanden hier statt. Wir waren eine der wohl aktivsten Pfarreien auf dem Stadtgebiet und haben Neues ausprobiert. Das hat mich motiviert, auch im damals noch sehr braven Teufen langsam neue Wege von «Kirche sein» zu gehen.

Ich erinnere mich, Sie hatten schon im Riethüsli oft eine volle Kirche und jetzt auch in Teufen mit 350 Plätzen. So mussten Sie für den Familiengottesdienst am Heiligabend um 17 Uhr den Pfarreisaal öffnen, damit alle 600 kleinen und grossen Besucherinnen und Besucher Platz hatten. Was ist Ihr Rezept, um die Kirche zu füllen?

Der Schein trügt. Nicht immer ist die Kirche voll. Das wäre ja komisch. Die Menschen sind in Teufen-Bühler-Stein nicht kirchlicher als anderswo. Es sind gewisse Gottesdienste, die eine breite Masse ansprechen. Und ich sage mir, wenn diese Menschen, die nur zu gewissen Feiern kommen, an diesem einen Tag mal etwas Gutes von der Kirche mitnehmen, hat das einen grossen Wert. Sie erleben vielleicht eine nicht schlafende Kirche, sondern eine, die versucht, das Leben ehrlich, in einer verständlichen Sprache und ohne Phrasen zu thematisieren. Wenn uns dies gelingt, freut es mein Team und auch mich.

Im Riethüsli kann man heute von solchen Zahlen nur träumen – was ist hier schiefgelaufen?

Mich dazu zu äussern, wäre nicht fair. Ich glaube einfach, dass die Nähe zu den Menschen, die in einer Pfarrei, einem Dorf oder Quartier wohnen, ein ganz wichtiger Faktor ist. Trotz Seelsorgeeinheiten braucht es die Gestaltungsfreiheit und  das Leben vor Ort.

«Die Menschen erleben vielleicht eine Kirche, die versucht, das Leben ehrlich, in einer verständlichen Sprache und ohne Phrasen zu thematisieren.» Stefan Staub

Es ist wie mit einer Quartierbeiz: Obwohl alle mobil sind, suchen viele Menschen Identifikationsorte und -figuren am Ort, wo sie leben. Ich hoffe, dass es dem neuen Team gelingt, dieses Bedürfnis irgendwie aufzunehmen.

Hand aufs Herz: Haben Sie manchmal noch Heimweh ins Riethüsli und wenn ja, was tun Sie dagegen?

Oh ja. Schliesslich habe ich hier die intensivsten Jahre meines Lebens erlebt und habe noch viele Bekannte und Freunde hier. Wenn mich das Heimweh überkommt, dann wackle ich über die Jägerei ins Riethüsli hinunter und trinke irgendwo einen Kafi, bevor es mit dem Appenzeller Express wieder nach Teufen geht.

2 Kommentare

  1. Sylvia und Orlando Schönenberger

    25.02.2020 / 16:04 Uhr

    Besten Dank für die tollen Beiträge

    Antworten

  2. Alois Rütsche

    25.02.2020 / 08:44 Uhr

    Deine Beiträge sind einfach super, aktuell und interessant.
    Vielen Dank für Deine tolle Arbeit.

    Antworten

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