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29.08.2010

Der Scheffelstein brennt…

Unser Historiker Ernst Ziegler hat den Brand als Kind erlebt.

„Der Scheffelstein brennt!“
 

Der Scheffelstein brennt! Ernst Ziegler über den Brand 1943 und das Ende einer glanzvollen Ära (Riethüsli-Magazin August 2010)

Von Ernst Ziegler

Eine meiner frühesten Jugenderinnerungen – meine ich – ist der Brand des «Scheffelstein» am Donnerstag,  dem 19. August 1943. Ich war damals fünf Jahre alt und wohnte in der «Unteren Steig» in St. Josefen. Mein Vater, der vermutlich Ferien hatte, trug mich auf den Armen gegen die «Obere Steig», von wo aus wir die Rauchsäule des brennenden Gebäudes sehen konnten.

Der Dichter Joseph Victor von Scheffel

Der 1826 in Karlsruhe geborene Joseph Victor von Scheffel war einer jener ganz seltenen Archivare, denen es gelang, einen Bestseller zu schreiben: Sein 1854/55 im Berggasthaus «Äscher» beim Wildkirchli entstandener Roman «Ekkehard» erlebte bis 1915 nicht weniger als 239 Auflagen.
Bekannt wurde zudem sein Versepos «Der Trompeter von Säckingen» (140 Auflagen). Scheffel starb 1886 in Karlsruhe. «Sanktgallische Verehrer des Dichters» errichteten ihm zu Ehren 1887 am Westhang der Bernegg einen Stein.

Der Bau

Im Jahr 1904 wurde dann das am Nordhang der Bernegg gelegene Haus «Scheffelstein» projektiert und von Otto Konrad gebaut. Das grosse, auffallende Gebäude hatte den Charakter eines Wahrzeichens, und das Restaurant «Scheffelstein» gehörte zum Naherholungsgebiet. «Hierhin führten die Sonntagsspaziergänge; hier, über den Arbeitersiedlungen des Nordhangs, verbrachten die Städter ihre Musse.»

Zum Restaurant gehörte ein gediegener, mit Szenen aus Scheffels «Ekkehard» geschmückter Speisesaal, wo es sich trefflich tafeln liess.

Der Brand
Das in herrlicher Aussichtslage stehende Restaurant brannte am 19. August 1943 nieder, was damals viel zu reden gab. Der Arzt Hans Richard von Fels notierte unter diesem Datum in sein Tagebuch: «Heut abend 18 Uhr brach ein Grossfeuer im ‹Scheffelstein› aus und zerstörte den Dachstock. Bei dem selten trocknen und heissen Wetter brannte es lichterloh und war schwer zu löschen.»

Das «St. Galler Tagblatt» meldete am 20. August 1943: «Um 7 Uhr stand der weitläufige, holzreiche, doppelte Dachboden in hellen Flammen, die auch den Turmaufbau ergriffen, der wie eine mächtige Fackel loderte und kurz nach 8.30 Uhr in sich zusammenstürzte, nachdem das ihm vorgebaute Türmchen eingebrochen war. Der kompliziert konstruierte Dachstuhl, in den eine Anzahl Mansardenzimmer eingebaut waren und der einer der grössten unter den Dachstöcken hiesiger Privatbauten war, erschwerte die Arbeit der Feuerwehr ausserordentlich. Es brannte an allen Ecken und in allen Winkeln zugleich. Dass das Feuer nicht auf die Wohnungen unter dem Dachboden übergreifen konnte, ist der hervorragenden Leistung der mutigen und aufs Letzte angestrengten Arbeit der Feuerwehr zu verdanken.»

Vom Restaurant konnte der Berichterstatter tröstlich vermelden: «Was den Restaurationsbetrieb anbelangt, kann mitgeteilt werden, dass er keinen Unterbruch erleiden wird, da die Wirtschaftsräume (Stube, Saal und Küche) intakt geblieben sind. Die Terrasse wird sofort freigeräumt werden und steht wohl in kurzer Zeit dem Publikum wieder zur Verfügung.»

Der Wiederaufbau

Beim Wiederaufbau stellte sich die Frage, ob der «Scheffelstein» tatsächlich ein Wahrzeichen der Stadt sei und ob er wieder genau so aufgebaut werden sollte, «wie er vor dem Brande war».

Beides wurde 1944 leider verneint, und man hielt es damals für richtig, «die ‹Monumentalität› des Scheffelsteins auf das ihm zukommende Mass zurückzuschrauben ». Dem ehemals pittoresken, stattlichen Bauwerk wurde gleichsam der Kopf abgeschlagen, und es erhielt den noch bestehenden langweiligen Dachaufbau.

Obwohl der damalige Architekt 1944 auf einer ganzen Zeitungsseite die ästhetischen und baulichen Vorzüge des neuen «Scheffelsteins» wortreich besang, scheint uns heute das Gebäude nur noch ein Schatten dessen zu sein, was es einmal war. Dass man unter einem solchen Dach keine Wirtschaft mehr führen wollte, ist verständlich. Bezeichnend ist zudem, dass dieses «Zurückschrauben» des «Scheffelsteins» zeitlich mit der Demontage des Romans «Ekkehard» zusammenfiel, über den Wilhelm Ehrenzeller 1942 schrieb: «Scheffels Ekkehard fälscht uns die St.Galler Geschichte.»

Dass solche «denkmalpflegerischen» Überlegungen die heutigen Bewohner des «Scheffelstein» vermutlich wenig kümmern, beweist der Schluss in einem Beitrag in der «Quartier-Zitig» des Quartiervereins Riethüsli vom September 1994 mit dem schönen Titel: «Scheffelstein – die Festung im Quartier»: «Bewohner und Bewohnerinnen schätzen die ruhige Wohnlage und die Fernsicht. Eine junge Frau sagt: ‹Wenn mich jemand besuchen will, muss ich nie erklären wo ich wohne. Wenn ich Scheffelstein sage, wissen alle wo das ist.›»

Riethüsli-Magazin August 2010 Der Scheffelstein brennt…

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