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28.08.2009

Das Wunder von der Ganggelibrogg

Ernst Buob überlebte 1937 einen 36-Meter-Sturz.

Erich Gmünder (Riethüsli-Magazin August 2009)

Zurzeit ist die Ganggelibrogg, die Verbindung zwischen dem Haggenquartier und dem ausserrhodischen Stein, gesperrt. Die Eisenkonstruktion aus dem Jahr 1937 ist ins Alter gekommen und muss saniert werden. Beim Bau kam es zu einem Unglück, das für einmal positive Schlagzeilen machte: Ein Lehrling rutschte auf der Konstruktion aus und stürzte in die Tiefe. Der Mann ist heute über 90 und immer noch purlimunter.

Wir haben Ernst Buob 72 Jahre danach an die Unglücksstelle begleitet.

Der Fall ging durch die Schweizer Presse. Sogar die Schweizer Illustrierte widmete ihm eine ganze Seite. Von Wunder war die Rede. Ein Lehrling war bei den Bauarbeiten auf der noch geländerlosen Brücke ausgerutscht und in die Tiefe gesaust.

Als seine Kollegen den Toten mit einer Bahre abholen wollten, kam er ihnen entgegen.

«Muetergottes helf mer»

Ernst Buob kommt heute noch ins Grübeln, wenn er sich an den Moment des Sturzes erinnert. Er habe nur noch ein Stossgebet zum Himmel schicken können. «Muetergottes helf mer!» – «Und sie hät mer gholfe. Sie hät mer gholfe!» schüttelt er heute noch halb ungläubig den Kopf.

Wobei die glücklichen Umstände ihm ebenfalls zu Hilfe kamen. Denn er landete zuerst auf den Ästen einer Tanne, welche seinen Sturz etwas abbremsten und ablenkten. «Ohne diese Tanne wäre er genau auf dem Betonsockel der zweiten Stütze gelandet», erklärt uns sein Schwiegersohn Eugen Pribil, der mit seiner Frau Monika, geborene Buob, und der Familie immer wieder mal von Oberhofstetten aus einen Sonntagsspaziergang machte zur Stelle, wo der Grossvater sein zweites Leben geschenkt bekam.

Ernst Buob erzählt, er habe sich beim Sturz wohl intuitiv zusammengerollt und sei mit Kopf und Schulter auf dem weichen Aushubmaterial gelandet. Zuerst habe es ihm den Schnauf verschlagen. Danach liess er sich von seinen Kollegen widerwillig überreden, sich doch auf der Bahre hinauftragen zu lassen. Der sofort herbeigerufene Arzt stellte keine sichtbaren grösseren Verletzungen fest, brachte ihn aber doch zur Beobachtung ins Spital Herisau. Dort wurde er 10 Tage später entlassen, ohne dass er geröntgt worden war. Ernst Buob will aber kein schlechtes Wort gegen das Spital aufkommen las: «Die Pflege war aber wunderbar, alle haben sich Tag und Nacht um mich gekümmert, das müssen Sie unbedingt schreiben», diktiert er dem Journalisten.

Harte Zeiten

Wenn er erzählt, wie er als Jugendlicher lange eine Lehrstelle gesucht hatte und dann auf dieser Baustelle arbeiten durfte, kommen Ernst Buob auch Fragen hoch. Als Lehrling verliess er morgens um halb sechs das Elternhaus hoch oben auf dem Rorschacherberg, fuhr mit dem Zug nach St. Gallen und von dort in den Haggen, um dann nochmals zu Fuss zum Sittertobel zu marschieren.

Dort nahm er die 365 Stufen der Hundwilerleiter, um hinunter zum Grund und auf der Steiner Seite wieder hinauf an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Rund zwei Stunden Arbeitsweg! Und das alles für einen Lohn von 2.50 Fr. – im Tag!

Doch eine grosse Auswahl an Lehrstellen habe man nicht gehabt. «Wer aus der Schule kam, musste einige Zeit als Handlanger arbeiten, und war dann gottefroh, wenn er überhaupt irgend eine Lehrstelle fand.» So auch Ernst Buob selber.

Seine Maurerlehre konnte er nach dem Spitalaufenthalt abschliessen. Der Baubranche blieb er treu, wenn auch in anderen Funktionen.

Spätfolgen

Der spektakuläre Sturz holte ihn dann später doch noch ein. Er hatte oft Rückenschmerzen. Aber erst als er bereits kurz vor der Pensionierung stand, liess er sich gründlich untersuchen, und da stellte man beim Röntgen fest, dass ein Rückenwirbel stark in Mitleidenschaft gezogen war, was vom Sturz herrühren musste. «Der Arzt sagte mir, die letzten Jahre würde ich wohl im Rollstuhl verbringen müssen», lacht der 91 jährige, «und jetzt, seht mich an!», sagt er, stolz und dankbar, dass er sich noch ohne Stock fortbewegen kann.

Die Einweihung

Wie die Haggenbrücke zu ihrem Namen kam, das hat Ernst Buob dann auch noch am eigenen Leib erfahren. Am Tag der Einweihung sei so viel Volk von beiden Seiten auf die neue Brücke geströmt, dass sie zu vibrieren begann, eben zu «gänggele», wie er sich noch lebhaft erinnert. Viele Menschen hätten Angst bekommen.

Passiert sei weiter nichts, die Brücke sei sofort geräumt worden. Doch der Name war geboren: «Ganggelibrogg».

Am Mittagstisch im Pfarreitreff Riethüsli, wo seine Tochter Monika kocht, zeigt Ernst Buob den ganzseitigen Bericht der «Schweizer Illustrierten Zeitung» über den spektakulären Brückenbau und den glimpflich verlaufenen Sturz des «jungen Mannes».
Bei ihnen ist er der Star: Die Höhenarbeiter oder Berufskletterer, die zurzeit auf luftiger Höhe der Ganggelibrogg einen neuen Farbanstrich verpassen. Sie sind dabei angegurtet. Das wäre bei ihnen auch Vorschrift gewesen, berichtet Ernst Buob, aber das sei ihnen dazumal zu kompliziert gewesen …

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