18.02.2009
Das Grenzkreuz beim Nestweiher
Im Gebüsch versteckt - Ein Zeuge aus alter Zeit.
Wer im Winter von der Solitüdenstrasse in die Teufener Strasse einbiegt, kann es auf der Gegenseite unterhalb des Nestweihers sehen: Ein altes Kreuz steht da zwischen den Büschen, deren Laub es im Sommer verdeckt. Wer näher tritt, sieht, dass der Sandstein schon stark bröckelt. Weder Zahlen noch Initialen geben uns irgendwelche Hinweise. Darum hat Ernst Ziegler wieder einmal für uns das Stadtarchiv besucht und erforscht, was es mit diesem und den anderen Grenzkreuzen in der Stadt für eine Bewandtnis hat.
Ernst Ziegler (Dieser Beitrag unseres ehemaligen Stadtarchivars erschien im Riethüsli – Magazin fürs Nest 1/2009)
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Fürstabtei und Stadtrepublik St.Gallen
Auf Teilen des heutigen Gebiets von Stadt und Kanton St.Gallen existierten bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts friedlich-schiedlich nebeneinander die Fürstabtei und die Stadtrepublik St.Gallen. Die 1524/27 evangelisch gewordene Stadt war nach und nach um das im 7./8. Jahrhundert gegründete Kloster entstanden.
Als eidgenössische Tagsatzungsherren am 31. Mai 1460 in St.Gallen in einem gütlichen Spruch die Grenzen des Stadtgebietes festsetzten, waren Stift und Stadt bereits zwei verschiedene Staatswesen. Das Kloster war 1451, die Stadt 1454 Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft geworden. Am 14. Mai 1457 waren nach langen Verhandlungen im sogenannten Berner Vertrag alle hoheitsrechtlichen Differenzen zwischen Kloster und Stadt St.Gallen beigelegt und damit der Loslösungsprozess der Stadt vom Kloster vollendet worden. Damals war der Abt von St.Gallen der länderreichste Fürst der Eidgenossenschaft. Das mehr oder weniger rechteckige Territorium der freien Stadt St.Gallen hingegen hatte nie grössere Ausdehnung als etwa anderthalb auf drei Kilometer.
Eidgenossen in St.Gallen
Nachdem sich also 1457 die Stadt vom Stift politisch gelöst hatte, kamen im Sommer 1460 eidgenössische Ratsboten nach St.Gallen, um Grenzstreitigkeiten zwischen dem Pfleger Ulrich Rösch und dem Gotteshaus St.Gallen einerseits sowie Bürgermeister und Gemeinde der Stadt St.Gallen anderseits zu schlichten und die bisherigen Grenzkreuze samt den alten Grenzlinien zwischen Kloster- und Stadtgebiet zu ermitteln und sowohl im Gelände wie auch urkundlich festzulegen. Im Gelände setzten sie zwischen den vier alten Hauptkreuzen sogenannte «Marchen », d.h. entweder kleinere Kreuze oder einfache Grenzsteine mit eingemeisseltem Kreuz.
Marken und Kreuze
Zuerst setzten die Eidgenossen eine Marke mit einem Kreuz «usserhalb den zweyen hüsren zuo Zelle in der gassen an demm hag», d.h. beim Nestweiher an der Altmannstrasse. Von hier aus führte die Grenzlinie in nördlicher Richtung dem Ruckhaldenbächlein entlang und «durch das töbilli» bis an die Strasse hinab, «die von Santgallen heruss gat gen Huntwil» (Oberstrasse). Eine Grenzmarke kam an diese Strasse zu stehen, und zwar dort, wo damals ein «Städilli» stand und bei demselben «ein tann und ein kriesbom by einandren ».
Weiter ging es nordwärts, über die Hundwiler Strasse, zum Grenzstein zwischen Vonwil und St.Leonhard bei einer Eiche am Fussweg (Ilgenstrasse), der von St.Gallen kam; sodann in schnurgerader Linie nach Studen zum Lindenhofareal an der Rosenbergstrasse.
Hier, an der Landstrasse nach Zürich, standen damals ein Haus und ein Stadel, und genau durch diese beiden verlief die Grenze, so dass das Haus innerhalb der Kreuze und der Stall ausserhalb zu stehen kam, das Haus also fortan der Stadt, der Stadel hingegen dem Kloster gehörte.
- Das erste Kreuz beim Stahl
In dieser Gegend wurde das erste Kreuz aufgerichtet, auf einem «Büchel» zwischen den Strassen, von denen die eine zur Ziegelhütte nach Schönenwegen und die andere «hinab gegen Spisegg in die Sittern gat». Diese Strassengabelung lag bereits auf äbtischem Territorium. (Von diesem Grenzkreuz haben die Kreuz-Bleiche und der Kreuz-Acker ihre Namen.)
- Das zweite Kreuz an der Langgasse
Über den Schoren ging es weiter dem heutigen Höhenweg entlang in östlicher Richtung nach Rotmonten und sodann gegen Süden hinab bis zum «Crütz zuo Wyden», d.h. an der Langgasse beim ehemaligen Widacker. Von diesem Hauptkreuz an der Langgasse (etwa beim Restaurant «Cavallino» ) verlief die gerade Linie zum Pfarrhaus, «das an der kilchen stat inwendig Sant Fiden».
- Das dritte Kreuz im Hagenbuch
Von St.Fiden aus zog sich die Grenze weiter zur Kleinbergstrasse, wo irgendwo gegen das Hagenbuch das dritte Hauptkreuz stand. Durch das «guot Birbemli» (Birnbäumen) und das «Linsibueler Töbilli» ging es hinauf nach Dreilinden. Beim Bau der Frauenbadanstalt 1897 wurde im Kreuzweiher ein Markstein gefunden mit den Jahreszahlen 1573 und 1661. Der Name Kreuz-Weiher geht wohl ebenfalls auf ein Grenzkreuz oder einen Markstein mit einem eingemeisselten Kreuz zurück.
- Das vierte Kreuz in St.Georgen
In westlicher Richtung verlief die Grenzlinie über Dreiweihern und am Freudenberg entlang bis zu dem «vierd Crütz inwendig Sant Jörgen, das wir daselbst gesetzt hand inderthalb den hüsern». Von hier aus ging es durch das Tal der Demut wieder zum Nest.
Stadtrecht
Diese vier Kreuze standen an vielbegangenen Wegen, also an den Hauptstrassen, und zeigten dem Her- oder Wegreisenden an: Hier betrittst du – bzw. verlässt du – das Territorium oder den Gerichtsbezirk der Reichsstadt und Republik St.Gallen und hast dich – bzw. hast dich nicht mehr – ihrem Recht und ihrer Ordnung zu fügen!
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Das Steinkreuz beim Nestweiher
Eine Fehlinterpretation in «Die Baudenkmäler der Stadt St.Gallen» von 1922 sorgte seinerzeit für einige Verwirrung. Dort steht nämlich, «das erste Hauptkreuz » sei beim Nestweiher gestanden, und wörtlich heisst es: «An seiner Stelle steht heute noch ein Steinkreuz, das im Jahre 1849 neu gesetzt wurde und diese Jahrzahl, sowie die No. 1 und die Bezeichnung G. St. G. [Gemeinde St.Gallen] trägt.»
Die vom Riethüsli aus nach Teufen führende Verbindung nahm nun aber erst um 1800 herum an Bedeutung zu. Auf Stadtgebiet wurde sie 1806 als «Plattenstrasse» und um 1835 als die heutige Teufener Strasse ausgebaut. Das 1849 an der Altmannstrasse errichtete Steinkreuz erinnert an ein altes Hauptkreuz. Aber 1460 wurde dort von den eidgenössischen Schiedsrichtern nur «ein march mit einem crütz» aufgestellt.
Autor/in: Erich Gmünder | 18.02.2009 | Keine Kommentare | Tools: