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11.01.2021

Das zweite Leben der Teufener Strasse 112

Ein nicht ganz gewöhnliches Mehrfamilienhaus - die Geschichte dahinter.

Diesem Haus sieht man seine 177 Jahre und seine besondere Geschichte nicht an. Foto: EG

Am 20. November 2020 berichtete Erich Gmünder auf der Riethüsli-Homepage von der neuen Baustelle mit dem imposanten Baukran an der Teufener Strasse 112: Verdichtetes Bauen in der ehemaligen Fabrik: Aus 6 mach 16!

Fredi Hächler

Eine gute Sache, die aber für Fussgänger und Velofahrer ein mittleres Ärgernis darstellt: Das Trottoir, der Veloweg und die Amseltreppe bleiben für min­destens 2 Jahre gesperrt.

Die Spuren

Dieses Haus an der Teufener Strasse 112 macht neu­gierig. Will man hinter dieses Geheimnis kommen – und ein solches steckt dahinter – müssen drei Quel­len überprüft werden: Wann war es erstmals in ei­nem Stadtplan eingezeichnet (im Jahre 1863), wann ist der erste Eintrag im Adressbuch (1884, Stickerei­meister Brunner) und wie weit zurück findet man Akten bei der städtischen Baudokumentation (1890). In der gloriosen Stickereizeit der Stadt St. Gallen gab es Hunderte von kleineren und grösseren Textilbetrieben dieser Art. Dass sich in dem un­scheinbaren Haus mit der Nummer 112 ein solcher von 1863 bis 1897 befand, ist tatsächlich eine Über­raschung.

Umbauplan 1890: Neben dem inneren Umbau der Stickfabrik wurde an der östlichen Seite ein Verkaufsmaga­zin (mit Abort) angebaut. Fotos: Fredi Hächler

Das Ergebnis

Warum wurde 1863 an der damals noch ländlichen Strasse nach Teufen eine Stickereifabrik errichtet? Zwei Stockwerke wurden als «Maschinensaal» mit einer übergrossen Raumhöhe (bis 3,20 Meter) er­baut. Das erste erhaltene Aktendossier von 1890 dokumentiert einen inneren Umbau der Stickfabrik. Folglich wurden hier schon früher maschinell Sticke­reien produziert. Wie wurden diese Maschinen oder Apparate angetrieben? Wasserkraft gab es hier oben nicht, elektrische Motoren 1863 noch nicht. Ver­mutlich kamen Handstickapparate zum Einsatz.

Offensichtlich wurden im neuerbauten Verkaufsma­gazin die Stickereiprodukte angeboten. Doch noch vor 1893 und bis 1897 hatte sich ein August Oster-walder eingemietet. Er war ein Rideaux-Drucker, das heisst, er bedruckte Stoffe.

Nach 1897 wurde offen­sichtlich, dass die relativ kleine Stickereifabrik keine wirtschaftliche Zukunft habe dürfte. Die beiden Produktionssäle wurden in je zwei Wohnungen um­gebaut. Im Keller und im Dachgeschoss hatten sich schon je eine befunden.

Das Dossier im Bauarchiv umfasst 7 Baugesuche. 1996 wurde letztmals die Fassade renoviert.

Ein Ernst Theodor Krönert wird in den Assekuranzbüchern der Feuerversiche­rung und in den Adressbüchern immer wieder als Besitzer und Bewohner bis in die 1890er-Jahre er­wähnt. Er könnte auch der Erbauer der Liegenschaft im Jahre 1863 und anfänglich der Betreiber der Sti­ckereifabrik gewesen sein. Im Adressbuch wird er von 1887 bis 1891 als Privatier erwähnt.

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