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17.07.2017

Die dunkle Seite der Schnellebigkeit «De schwarz Roli»

Die dunkle Seite der Schnellebigkeit «De schwarz Roli» https://www.xn--riethsli-b6a.ch/wp-content/uploads/2017/05/DSC00199-Kopie-200×300.jpg Roland Breitenmoser ist ein Kaminfeger der alten Garde. Ende des letzten Jahres ging er in Pension. Er zeichnet ein düsteres Bild seines Berufs, würde ihn aber wieder erlernen. Tim Wirth Auf den Socken von Roland Breitenmoser steht Active – und das ist er auch. Als er im Hotel […]

Die dunkle Seite der Schnellebigkeit

«De schwarz Roli»

https://www.xn--riethsli-b6a.ch/wp-content/uploads/2017/05/DSC00199-Kopie-200×300.jpg

Roland Breitenmoser ist ein Kaminfeger der alten Garde. Ende des letzten Jahres ging er in Pension. Er zeichnet ein düsteres Bild seines Berufs, würde ihn aber wieder erlernen.

Tim Wirth
Auf den Socken von Roland Breitenmoser steht Active – und das ist er auch. Als er im Hotel Millitärkantine eintrifft, erzählt er, dass er gerade noch einem Freund in Bischofszell beim Handwerken geholfen hat. Im hinteren Bereich des Restaurants winkt ihm jemand zu. Es ist laut. «Weil ich so viele Leute kenne, muss ich manchmal wieder weit weg in die Ferien», sagt er mit seiner hellen nasalen Stimme. Dann schwenkt er den Blick in die Vergangenheit.

Handwerker mit Zylinder

Vor 45 Jahren ist Roland Breitenmoser ins Riethüsli gekommen. Er hat dort für seinen Vorgänger Ernst Sonderegger gearbeitet, ein toller, sozialer Arbeitgeber, wie er sagt. Später hat er das Geschäft übernommen. Damals gab es noch acht Kaminfeger in St.Gallen, jetzt gerade noch drei. «Am Schluss war ich für das Gebiet zwischen dem Rathaus und Winkeln zuständig», sagt Breitenmoser. In 20 Jahren werde es nur noch einen Kaminfeger für die ganze Stadt brauchen. Denn, es wird vermehrt mit Wärmepumpen und Elektrizität geheizt.

Wenn er von seiner Meisterprüfung erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. Nach einem langen Tag mit Lernerei in Graubünden seien sie nach Chur in den Ausgang. Am nächsten Morgen hätten sie dann wieder die Schulbank gedrückt.

Weit gekommen ist Roland Breitenmoser nicht. Noch immer wohnt der 64-jährige mit seiner Frau und den Hunden im Riethüsli. Alle vier Kinder sind hier aufgewachsen, die jüngste Tochter zieht bald weg. Er hat, wie er sagt, einiges verbrockt, in diesem Quartier. War Präsident des Skiklubs, half beim Grümpeli mit, bis die Halle einstürzte, hatte beim Seifenkistenrennen die Finger im Spiel, und auch beim Christbaum, der beim Berneggwald brennt. «Ich war sicher nicht immer pflegeleicht», sagt Roland Breitenmoser, und dreht seine groben Daumen. Er trägt eine runde Brille und eine kleine, goldene Uhr.

Was hat sich in deinem Beruf verändert?
Roland Breitenmoser: «Vor allem die Kunden haben sich verändert. Sie sind hektischer geworden, haben grosse Bedürfnisse und leben nur noch nach der Agenda. Ich habe viele Intrigen mitbekommen.»

Wie das?
RB: «Wenn ich in der Stube ein Cheminee oder ein Öfeli putzen muss, gehe ich durch die Stube, manchmal auf den Balkon und ins Bad. Ich sehe sehr tief hinein-manchmal zu tief. Das kann erschwerend und manchmal auch bedrückend sein. Denn ich darf nichts sagen, auch wenn mir etwas gegen den Strich geht.»

Wenn man das, was Roland Breitenmoser als Kaminfeger bewegt hat, verstehen will, muss man mit Michi Hörler reden. Der 35-jährige ist Kaminfeger der jungen Generation. Sein Gebiet ist dort, wenn man über Graubünden ins Tessin schlängelt, vor Splügen, in Andeer. Der Sohn von Roland Breitenmoser hat bei Michi Hörler die Lehre gemacht, noch heute arbeitet er bei ihm. Beide treffen sich ab und zu; fachsimpeln über die Arbeit und die Hunde.

Was zeichnet Roland Breitenmoser aus?
Michael Hörler: «Er ist ein alter Haudegen, der mir imponiert. Ein ‹rucher› Handwerker der alten Garde. Er trug noch gerne den traditionellen Zylinder, was ich nicht mehr mache. Er weiss enorm viel über die Arbeit mit Heizungen und Öfen; weiss genau wo er ansetzen muss. Die jungen Kaminfeger sind wahrscheinlich technisch besser, er aber beherrscht noch das wahre Handwerk. Wenn ich einmal nicht weiter weiss, rufe ich ihn an. Er hat immer eine Lösung, würde sogar jederzeit nach Graubünden fahren, um mir zu helfen. Zudem war er nicht nur ein Kaminfeger, sondern auch Lebensberater und Psychologe. Wenn ihn eine 80jährige Kundin gefragt hat, ob er ihr auch noch die Lampe montiere, hat er sicher nicht gesagt, sie solle den Elektriker rufen.»

Was ist heute anders als früher?
MH: «Als ich mit der Arbeit begann, hatten die Kaminfeger noch Ansehen. Man schaute ehrfürchtig zu ihnen auf, wie zu einem Pfarrer oder einem Lehrer. Denn wenn man die alten Öfen nicht richtig putzte, riskierte man einen Brand und eine riesen Sauerei. Da gab man als Kunde gerne einen Znüni aus, damit der Kaminfeger extra gut putzt. Heute wird man als Kaminfeger vielfach belächelt. Zudem ist alles viel bürokratischer geworden. Früherer hatte man eine Karteikarte mit Kunden und arbeitete diese durch. Wenn der Kaminfeger sagte: ‹Ich komme morgen um sieben Uhr, war die Türe offen.› Heute sagen die Leute kurzfristig per Email ab, man muss nachtelefonieren und fragen ‹wann gehts denn?›. Die Leute wollen, dass man zu Randzeiten kommt und so schnell wie möglich wieder verschwindet. Ich glaube, das hat Roland Breitenmoser am Ende Mühe gemacht. Er gehört zu der Generation Kaminfeger, denen der neue, kurzlebige Umgang etwas missfiel.»

Politiker, der mit allen reden kann

Mit der Politik angefangen hat Roland Breitenmoser bei der Autopartei. Diese wurde aufgelöst, er wechselte zur SVP. «Bürgerlich, das war mir klar. Die FDP war mir zu wirtschaftlich, für die CVP springe ich zu wenig in die Kirche», sagt er. Wichtig seien ihm gesunden Menschenverstand und Kompromisse gewesen. Roland Breitenmoser sagt: «Der heutige HickHack im Gemeinderat ist schlimm. Es sind Einzelkämpfer, die viel reden und wenig machen.» Er selbst habe während seinen zwei Legislaturen zu allen Parteien einen guten Draht gehabt. Mit dem SP-Politiker Roland Gehrig (rote Roli) habe er (schwarze Roli) politisch gekämpft, aber auch mit ihm zusammen das Parlamentarier-Skirennen organisiert. Beim Reden muss Breitenmoser häufig nachfragen, was die Frage war, den er driftet in Exkurse ab.

Was war dir besonders wichtig in der Politik?
RB: «Ich war in der Werkkomission. Ich setzte mich dafür ein, dass die Wasser- und Stromversorgung sowie die Kanalisation und die Verbrennung gut funktionieren. Zudem wollte ich immer weg von den fossilen Brennstoffen, obschon ich damit Geld verdiente.»

Wie soll die Schweiz mit Flüchtlingen umgehen?
RB: «Es wäre einfach, wenn man die Falschen von den Richtigen trennen könnte. Ich weiss, dass das keine nette Formulierung ist. Ich denke, dass es auch viele Wirtschaftsflüchtlinge gibt, die wir nicht aufnehmen sollten. Andere, die – wenn der Krieg vorbei ist – wieder zurückkehren, jedoch schon. Ich habe gehört, dass es beim temporären Asylzentrum Riethüsli Asylsuchende gab, welche die Zivilschützer gefragt haben, wo der nächste Apple Store sei. Wiederum andere waren wirklich für alles dankbar.»

War es gut im Riethüsli ein temporäres Asylzentrum zu errichten?
RB: «Was aus Bern kommt, findet in den Regionen häufig nicht Anklang. Aber alle brauchen ein Dach über dem Kopf. Es war sicher nicht abwegig.»

Noch im Gemeinderat ist Roland Breitenmoser aus der SVP ausgetreten. Die Partei habe ihm etwas unterstellt, was er nie gemacht habe: Er soll bei einer Abstimmung weitererzählt haben, wer für was gestimmt habe. So war er im letzten Jahr parteilos, ehe er aufhörte. Stolz, fast schon trotzig erzählt er von einem Coup. Er habe mit Kollegen das Referendum für einen tieferen Steuersatz ergriffen, gegen seine Mutterpartei. Diese dachte, das die Volte von langer Hand geplant sei. «Doch wir haben das im Nebenzimmer des Rates beim Essen ausgeheckt», sagt Breitenmoser. Vor dem Volk ist das Vorhaben dann knapp gescheitert. Einer, der den Politiker Roland Breitenmoser kennt, ist der SPler und Poetry-Slamer Etrit Hasler. Beide haben am gleichen Tag, dem 17. November, Geburtstag; Hasler ist 25 Jahre jünger.

Was für ein Politiker war Roland Breitenmoser?
Etrit Hasler: «Wir haben an den beiden Rändern des Parlamentes politisiert – ich am linken, er am rechten Rand. Als ehemaliger Autoparteiler unterschieden wir uns vor allem in ökologischen Fragen natürlich diametral. Aber als ich ins Parlament kam, hatte er seine Polterjahre bereits hinter sich. Ich habe ihn als guten Redner und umgänglichen Menschen erlebt. Als einen der wenigen Vertreter «von unten» – Handwerker und Kulturschaffende sind in Milizparlamenten leider eher selten, da die politische Arbeit nicht einen geschäftlichen Vorteil bringt, sondern häufig eher eine Belastung ist. Roli war, wie ich auch, so ein Überzeugungstäter.»

Weshalb hattet ihr Kontakt?
EH: «Wir gehörten beide zu den letzten Rauchern im Rat, da traf man sich jeweils draussen und bei den Feiern. Als das Tagblatt einmal ein Bild abdruckte, bei dem man uns gemeinsam draussen sah, erhielt ich ein erbostes Mail von einem St.Galler Altlinken, ob es mir eigentlich noch gehe, ‹im freundschaftlichen Gespräch› mit diesem Rechtsaussen herumzustehen. Aber Roli und ich hatten da eben beide keine Berührungsänngste.»

Mit den Hunden in den Norden

Im Riethüsli bleiben wird Roland Breitenmoser nicht mehr lang. «Das Haus ist uns zu gross», sagt er. Kaminfeger Adrian Hälg aus Zuzwil übernimmt. Roland Breitenmoser hat jetzt viel Zeit für seine Hunde, mit denen er an Agility-Wettbewerben teilnimmt. Sie sind es auch, die ihm vom Rauchen abbrachten. Früher rauchte er bis zu 15 Rössli-Stumpen am Tag, dann Pfeife. Vor sechs Jahren an der Europameisterschaft im schwedischen Kristianstad sei er den Hunden nicht mehr nachgekommen. Seither ist es vorbei mit dem Rauchen.

Er zeigt Bilder von seinem Hund Giovanni auf dem Handy. Zuerst sei er in einem Verein gewesen, doch dort habe es ihm nicht mehr gepasst. Jetzt mietet er bei einem Bauern in Gossau eine grosse Halle und trainiert für sich. Alle Geräte – Gigampfi und Tunnel – bringt er selber mit. Er habe dem Reitstall-Besitzer gesagt, dass sonst niemand in die Halle dürfe. So fühle er sich am wohlsten. Auch reisen will er: Island, Alaska oder Nordkap. Vielleicht mit einem Wohnmobil. Roland Breitenmoser sippt an seinem alkoholfreien Rumpunsch und überlegt.

Mit welchen drei Worten würde sich Roland Breitenmoser momentan beschreiben?
RB: «Erlöst, weil ich nicht mehr um fünf Uhr aufstehen muss. Stolz, wegen den guten Erlebnissen mit den Kunden. Und dankbar, weil ich den Beruf so lange machen konnte.»