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19.05.2023

Direkt von der Kriegsfront ins Riethüsli

Petér Szeghlànik, der Pastor mit dem grossen Herzen, über seine Mission.

Es war die grosse und berührende Überraschung an der Sammlung für Rumänien und die Ukraine vom 13. Mai 2023: Pastor Petér Szeghlànik. Der Pfarrer, der seit Jahren immer mal wieder persönlich vorbeikommt und die hier gesammelten Waren abholt und nach Rumänien und in sein Heimatland Ukraine bringt.

Seit Kriegsausbruch ist es für Petér sehr schwierig geworden mit der Ausreise aus der Ukraine, da er im dienstpflichtigen Alter ist. Es gelang ihm aber immer wieder mal, mit einer Ausreisespezialbewilligung in die Schweiz zu kommen für Hilfstransporte — wie überraschenderweise am Samstag im Riethüsli.

Zwei Stunden Schlaf in dieser Nacht – hier packt Petér seine Matratze zusammen, um Platz zu schaffen für die wertvolle Fracht aus der Schweiz. Fotos: Erich Gmünder

Peter und seine Frau Kata waren am Freitag in der Ukraine gestartet und hatten unterwegs nur einen kurzen Zwischenstopp eingeschaltet und zwei Stunden geschlafen – auf einer Matratze im Bus, der von HSiO gesponsert worden war. Doch von Müdigkeit keine Spur. Noch am Tag zuvor war er direkt an der Kriegsfront gewesen. Wir haben mit ihm über seine frischen Erfahrungen gesprochen.

Notiert: Erich Gmünder

„Wir sind direkt aus der Ukraine hergefahren, insgesamt 1300 Kilometer, ich zusammen mit meiner Frau in einem Bus und zwei Männer mit ihren Bussen. Die beiden sind freiwillige Helfer. Der eine befindet sich in Ungarn und macht für mich die Transporte. Zuhause wollte er nicht zwangsrekrutiert werden, also ist er lieber in die Freiwilligenarbeit gegangen. Der andere junge Mann ist Wolodimir, er hat drei minderjährige Kinder und deshalb darf er das Land verlassen ohne Militärgenehmigung.  Ich erhielt ebenfalls  eine Ausreisegenehmigung von der Militäradministration. Und meine Frau durfte mitkommen, sie hat gestern noch Unterricht gehabt, während ich noch Kranken- und Pastoralbesuche machen durfte, und dann sind wir in aller Ruhe losgefahren und die beiden anderen waren mit ihren Fahrzeugen schon  seit gestern früh unterwegs.

Es fehlt an Krankenwagen

Am Donnerstag bin ich zurückgekommen von einer langen Reise direkt ins Kriegsgebiet. Wir waren direkt an der Frontlinie, da haben wir eine Feldküche hingebracht, die wir in Deutschland gekauft haben, sowie Lebensmittel. Und wir haben auch einen ehemaligen Konfirmanden  von mir besucht, ganz nahe an der Font, etwa 30 km vor Bachmut. Er holt direkt von der Front die Verletzten. 

Mit einem Geländewagen oder geländegängigen Fahrzeug holt er sie raus. Sobald er an einer richtigen Strasse ist, wird der Verletzte in einen Krankenwagen umgelagert und erstversorgt und dann ins Spital gebracht. Sie bräuchten dort dringend weitere Krankenwagen, wenn jemand das anbieten würde, wäre das eine Riesenhilfe für diese wichtige Aufgabe. Zwar gibt es schon Krankenwagen, aber viel zuwenig.

Die Menschen wollen zurück

Im Westen wird die soziale Unterstützung manchenorts eingestellt, und sie wollen zurück nach Hause. So war ich heute vor einer Woche in Rumänien, dort hatte ich auch schon mit Flüchtlingen gearbeitet und habe Flüchtlingsfamilien besucht. Da hat jemand von ihnen gesagt: „Herr Pfarrer, ich habe schon ein Ticket in der Hand, ich fahr nach Hause.“

In den Städten wie beispielsweise Slavjansk sind schon ganz viele Bewohner zurückgekehrt. In Swatorsk, 25 km vor Izium, wo bis vor kurzem alles unter russischer Besatzung war, blieben nur noch 3700 Menschen, vorher lebten dort 10’000 Menschen. Seit dem Abzug der Russen sind schon 2000 zurückgekommen. Wir möchten sie dort ebenfalls unterstützen, und wir haben da die Bürgermeisterin getroffen, sie war gerad am Baumpflanzen: „Heute ist der 9. Mai“, sagte sie, „der Europatag, und wir möchten ein Zeichen setzen, und als Erinnerung für jeden gefallenen Soldaten aus der Region einen Baum pflanzen.“ Sie haben zehn Tännchen gepflanzt, und ich habe gesagt, schaut mal, die Spitzen der Tännchen zeigen alle nach oben, denn von oben bekommen wir die Hilfe. Es war eine schöne Begegnung.

„Wo sollen wir sonst hin“

Wir haben in dieser Region auch die Häuser angeschaut. Insgesamt 300 Häuser sind total zerstört, aber die Menschen wollen zurück und sie kommen zurück. Wir möchten die Häuser soweit möglich bewohnbar machen, vor der Winterzeit noch, dass mindestens ein bis zwei Zimmer bewohnbar sind, eine Dusche, eine Küche, das Dach muss dicht sein, damit die Menschen wieder dort wohnen können, damit sie spüren, dass wir Unterstützung geben. Denn das ist sehr nahe an der Grenze, etwa 50 km entfernt von den direkten Kriegshandlungen. Deshalb haben wir beschlossen, mit kleinen Mitteln – wir sind keine grosse Organisation – Zeichen zu setzen, Beispiel zu sein, bis die staatlichen Programme anfangen. Vielleicht werden die Häuser dann abgerissen und neu aufgebaut, aber die Menschen wollen jetzt schon dort wohnen, sie haben Blumen gepflanzt, sie haben Bäume gepflanzt, sie haben eine Hoffnung in ihren Herzen, trotz all dem vielen Leid, das sie erleben mussten.

„Der Krieg lebt davon, dass wir den Hass schüren in unseren Herzen. Aber das ist kein Leben, das ist wie eine Pille, die man einnimmt, und damit Selbstmord begeht.“

Haben die Russen hier auch Gräueltaten vollbracht?

(schweigt kurz) Ja, es sind auch viele Zivilisten gestorben. Doch besonders die ältere Generation will ihre Dörfer nicht verlassen, sie sagen, wo sollen wir sonst hin?

Haben die Menschen nicht einen riesigen Hass auf die Russen?

Der Hass ist wie ein Selbstmord. Der Krieg lebt davon, dass wir den Hass schüren in unseren Herzen. Aber das ist kein Leben, das ist wie eine Pille, die man einnimmt, und damit Selbstmord begeht. Als Pastor bete ich dafür, dass statt dem Hass Liebe entsteht, dass wir sogar unsere Feinde lieben, weil, wenn wir ihnen nachjagen, sogar über unsere ukrainischen Grenzen hinaus, erzeugt das nur neuen Hass. Jesus ist für uns gestorben am Kreuz, wir müssen nicht mehr töten. Wir müssen uns verteidigen, ja, aber wir müssen einen anderen Weg gehen, trotzdem dass wir viel Leid erleben. Nur wenn wir den Weg der Liebe wählen, können wir erleben, was für uns menschlich unmöglich ist, den Hass zu besiegen, diese ganzen Verletzungen. Wir können dieses Wunder erleben, das Gott uns schenken kann. Das Wunder der Vergebung. Aber es braucht viel Zeit, es braucht viel Geduld, es braucht viel Gebet.“

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