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9.09.2020

Himmel und Höll, Liebegg und Solitüde: Woher kommen unsere Flurnamen?

SOMMERSERIE: Flur- und Ortsnamen im Riethüsli – und die Geschichten dahinter.

Fredi Hächler*

Wir haben im Riethüsli einen Himmel, eine Höll, eine Einsamkeit, viel Demut und eine Liebegg. Das sind alles Flurnamen in unserem Quartier, teils mit bekannter, teils mit unbekannter Bedeutung. Aber alle haben eine Geschichte – und oft ist es mehr oder weniger logisch, wie es zum Namen kam.

In loser Folge haben wir in den letzten Wochen die einzelnen Namen genauer unter die Lupe genommen. Manchmal liegt eine Erklärung auf der Hand, dann ist sie kurz und bündig. Oft sind die Herleitungen aber auch mehrdeutig, vage, wissenschaftlich kompliziert, oder ganz einfach falsch –  aber hoffentlich immer spannend oder mindestens unterhaltsam. 

Bei mehr als 20 Flurnamen aus dem Riethüsli wird jeweils versucht, die Herkunft und die Deutung zu beschreiben. Dabei hilft das Buch der Orts- und Flurnamen der Stadt St.Gallen von Martin Arnet. Aus dieser Quelle wurden die meisten zeitlichen und historischen Angabe jeweils entnommen, wie auch aus dem Riethüslibuch*. Weiter können die alten Stadtpläne behilflich sein und – ganz wichtig – das Wissen und die Erinnerungen unserer Quartierbewohner. Gerne können Sie eine Beschreibung ergänzen oder korrigieren.  Mails an redaktion@riethüsli.ch.

Vogelherd, Menzlen, Bernegg, Ruckhalde und ein paar weniger bekannte Flurnamen

Zum Schluss der Flurnamen-Serie zuerst noch einige kurze, spröde Erklärungen zu bekannten Namen. Sie wurden schon früher öfters in der Quartierzeitung besprochen:

La solitude ist die Einsamkeit und auf ihr wurde 1884 das weitherum bekannte Wirtshaus Solitüde gebaut. Schon im 12. Jahrhundert wurde eine Festung auf der Bernegg oben errichtet, wo sich offenbar auch der von Gallus verscheuchte Bär zurückgezogen haben soll. Schwieriger wird es beim erstmals 1405 erwähnten Namen Menzlen. Es gibt verschiedene Deutungen. Der Mönzelberg könnte von mons coeli (Himmelberg) abstammen, eventuell auch vom Geschlecht Manz, aber es gibt im Namenbuch von Martin Arnet noch andere Deutungen, bitte selber auswählen. Der Begriff Watt stammt eindeutig vom Wattbach, den man an einer untiefen Stelle durchwaten konnte.

Vogelherd mit Scheffel-Denkmal um 1950

Etwas realistischer und einfacher ist die Deutung bei den folgenden Namen, die von Personen abgeleitet werden. Der schon um 1385 erwähnte Ringelberg hat seinen Namen vom damaligen Bauer Ringlin und wurde mit der Zeit zum Ringelberg. Der Hafnerwald gehörte einmal einem Hafner. Auf dem Vogelherd fing der Vogler mit Netz und Leimrute jagdbare Vögel. Ruhsitz, Melonenhof und Treuacker waren damals bürgerliche Sommersitze vor der Stadt.

Bau des Wassereservoirs Teufener Strasse 1888 in der ehemaligen Grube der Sandsteinplatten, daher Plattenstrasse

Unbekannter, aber erklärbar sind die folgenden Namen Platten und Eiskeller. Bis 1880 hiess die Teufener Strasse Plattenstrasse wegen dem Sandsteinplatten-Steinbruch beim heutigen Reservoir Plattenstrasse. Noch heute heisst der Verbindungsweg von der Nestweiher- zur Oberen Berneggstrasse Plattenweg. Bei der Fellenbergstrasse gab es bis 1880 einen Eiskeller für das Kühlen des sommerlichen Biers in den Quartier-Wirtshäusern mit dem Eis aus dem Nestweiher.

Ruckhalde um 1910

Die Ruckhalden gehörte um 1500 einem Bürgermeister namens Caspar Rukh. Am Ruckhaldenweg soll ein Mann mit geistiger Behinderung gewohnt haben. Für die Riethüsler war es in der Folge der Narrenweg. Neben diesem Weg war früher im Winter eine Skipiste, die Schopferwiese, benannt nach dem Kohlenhändler Schopfer am unteren Ende des Weges.

Liebegg um 1920

Bei folgenden 3 Flurnamen kann oder muss man die eigene Phantasie bemühen: Warum heisst die Liebegg Liebegg? Auf den Stadtplänen von 1891 bis 1948 ist ein Radweg beim Blauen Himmel eingezeichnet. Ein ziemlich steiler Weg mit Treppenabschnitten verband die Teufener Strasse bei der Nr. 67 (Station Melonenhof) mit der Oberen Berneggstrasse 31 der Familie Inauen. Heute ist der Radweg spurlos aus dem Gelände verschwunden. Er galt damals als offizielle Treppe und konnte nie mit Rädern befahren werden. Beim Mountainbike-Weg vom Unteren Brand zur Teufener Strasse steht in den Stadtplänen von 1989 bis heute Schlangentöbeli, warum?

Bestimmt kennen Riethüslerinnen und Riethüsler noch mehr solcher Namen und allenfalls eine Erklärung dazu – oder eine Berichtigung, eine Ergänzung  – bitte melden. 

Hier folgen weitere Flurnamen – einfach auf den Balken klicken!

Riethäusle, Riethäusli, Riedhüsli, Riethüsli....

Flugaufnahme von Walter Mittelholzer Mai 1924: Dominant in der Mitte die Gärtnerei Wartmann, (heute Elektro Kundert). Am rechten Bildrand die Fabrik, vorne der Scheffelstein und links davon das Wirtshaus Nest, am Bildrand links vorne der Vogelherd.                   Bildarchiv ETH Zürich

Weil uns der Name als Riethüslerin oder Riethüsler so geläufig ist, macht man sich kaum Gedanken, wo eigentlich der (Flur-)Name seinen Ursprung hat. Das ‘Geschichtliche’ ist schnell abgehandelt: Laut dem Namenbuch von Arnet S. 305 findet der Name im Riett erstmals um 1385 eine Nennung. Er kann eine feuchte, moorige Gegend bezeichnen, was durchaus auf das Gebiet bei der heutigen Gewerbeschule zutreffen würde. Riet kommt aber auch von Rodung. So heisst noch heute das Gebiet südlich der Solitüde Rietgasse. In der Folge sollen Bilder ‘unser’ früheres Riethüsli zeigen, ein Quartier, dass es so nicht mehr gibt.

Von Riethäusle zu Riethüsli

Aber wo genau kann man den Flurnamen Riethüsli denn verorten? Offensichtlich gab es nie einen Bauernhof oder eine Häusergruppe mit dem Namen Riethüsli. Aus dem Wort Riett/Riet entstand Mitte des 19. Jahrhunderts das schwäbisch angehauchte Riethäusle (erstmals auf der Eschmann Karte um 1856), Riethäusli auf dem Stadtplan von 1878/83, Riedhüsli (Stadtplan 1912).

Auf den Stadtplänen seit 1915 steht immer Riethüsli. Da offenbar Riethäusle gar nordisch tönte, wurde auf der Vereinsfahne des 1910 gegründeten Männerchores Riethüsli 1933 das Wort Riethäusle ins schweizerische Riethüsli umgestickt. Über den ‘Namenstreit’, ob der Quartierverein 1910 Nest oder Riethüsli heissen sollte, wird weiter unten beim Flurnamen Nest berichtet.

Riethäusle b. St.Gallen um 1910: Beschauliche Teufener Strasse bei der Nr. 167 mit Wäsche, Holzbeige, kein Trottoir und kein Verkehr.                               Stadtarchiv

Versucht man nun auf den Stadtplänen den Namen Riethüsli zu verorten, so macht man eine kleine Reise durch unser Quartier. 1878/83 beginnt sie beim Im Grund, 1907 an der Wattstrasse 2, 1911/14 im Falkenwald, 1927 in der Watt, 1964 bei der GBS und seit 1989 steht der Name unterhalb des Guggerweges.

Das Riethüsli ennet der Kantonsgrenze

Über Jahrzehnte wurde appenzellisch Riethüsli wie eine städtische Enklave behandelt. Die Post wurde über Riethüsli 9012 geliefert, die Kinder gingen bis zum Jahr 2000 zu uns in die Primarschule. Die Quartierzeitung wird heute hier immer noch verteilt und das Abwasser mit einer Rohrbrücke über den Wattbach in die Pumpstation Liebegg geleitet und von der Stadt gereinigt: Unser appenzellisches Riethüsli!

Appenzellisch Riethüsli um 1910: Eine von mehreren Zahnarztpraxen von damals ennet der Kantonsgrenze an der Teufener Strasse 185.          Stadtarchiv

Idyllisches Postkartenmotiv von Riethäusle b. St. Gallen: Der Liebeggweiher 1926, im Hintergrund die Häuser von appenzellisch Riethüsli. Zu dieser Zeit hatte das Quartier Riethüsli 6 Weiher.     Stadtarchiv

Das Riethüsli mit seinem Gebiet war schon immer ein dehnbarer, oft und vielseitig genutzter Begriff. Offiziell sind die Grenzen für unsere Quartier heute von der Teufener Strasse 88 bis zur Liebegg definiert. Von 1975 bis 1978 reichte die Grenze des Quartiervereins sogar bis zum Hauptbahnhof, eine Zeitlang hiess er QV Riethüsli-Hofstetten, wie heute noch der reformierte Kirchkreis Riethüsli-Hofstetten. Riethüsli kann eigentlich in unserem Quartier überall sein!

Friedliches Riethüsli im Sommer 1945: Im Vordergrund der Auslauf der Sprungschanze des Skiclubs Riethüsli, am rechten Bildrand das Wirtshaus Grosses Riethüsli, links die Häuser Im Grund.       Foto Gross

Die Solitüde

Die Solitüde  – hier geht es zum Beitrag: Seit 1990 gibt es das Ausflugsrestaurant Solitüde nicht mehr

Das Nest

Stadtplan 1830: Das städtische Gebiet, dass man später Nest nannte. Rechts neben dem soeben errichteten Nestweiher das Blatternhaus, dann das Nest genannte Gebäude. Bis um 1890 führte die Strasse nach St.Georgen am Wirtshaus vorbei, Mitte rechts der Vogelherd, oben der Blaue Himmel.

Nest: Wohnsitz, altes, geringes Gebäude. So umschreibt das Schweizerische Idiotikon (Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache) im Band 4  Seite 836 einen solchen Flurnamen. Dieser eher despektierliche Flurname Nest galt wohl einem früheren, bescheidenen Bauernhaus neben dem Blatternhaus (um 1600) oberhalb des heutigen Kindergarten Nest. Doch im Jahre 1837 erkannte der Bauer die günstige (Verkehrs-)Lage seines Hofes. Er gab vermutlich das Bauern auf und errichtete das zweite Wirtshaus (1822 Grosses Riethüsli) in einem Gebiet, dass bald als Nest weitherum bekannt wurde.

Die älteste bekannte Aufnahme vor 1890: Mit Gartenlaube und Biergarten mit einer Schaukel. In der Mitte die Obere Berneggstrasse und vorne verdeckt die Strasse nach St.Georgen.    Fotos Stadtarchiv

Das Wirtshaus war einst stadtbekannt.

Es war primär die Gaststätte, die später dem Quartier den Namen Nest gab. Über ein Dutzend Fotos sind erhalten, die das Etablissement in immer wieder verschiedenen Ansichten zeigt. Bald wurde das Wirtshaus als eines der angesagten städtischen Ausflugswirtshäuser angepriesen und bekannt. Innovative Wirtsleute baute den Betrieb immer wieder um und aus. Es entstanden ein Biergarten mit zwei Schaukeln, eine Dépendance mit Trinkhalle und eigener Kegelbahn. Kolorierte Ansichtskarten priesen zu Recht die einmalige Lage mit Blick auf den Säntis. Der wirtschaftliche Höhepunkt wurde wohl vor dem Ersten Weltkrieg erreicht. Im entstehenden Quartier Riethüsli etablierten sich weitere Wirtshäuser. Man ging in den Talhof, ins Grosse Riethüsli, zur Felsenburg beim Nestweiher oder auf die Solitüde. Man hatte die Auswahl unter über einem Dutzend Wirtshäusern. Noch probte der Riethüsli-Männerchor ab und zu im Säli. Aber ein schleichender Niedergang setzte ein, und 1964 gingen in der Gaststube endgültig die Lichter aus.

Um 1900: Auf einer Postkarte werden stolz die Neuerungen präsentiert. Auch am Wirtshaus wurde der Anbau (für Gäste?) erneuert und vergrössert.

Das andere Nest

Aber der Name Nest blieb dem Quartier erhalten. Die Bewohner fanden einerseits den Namen irgendwie lustig, aber anderseits auch despektierlich. Den von den Städtern gerne zitierte Satz I gang mit dem Tram is Nescht fand man nicht immer angebracht. Tatsächlich hiess die Linie 5 seit dem Jahre 1913 Union – Nest (später ab Bahnhof). Als 1910 der Quartierverein gegründet wurde, hiess er aber nicht QV Nest, sondern bekam vom ersten Präsidenten den Namen Riethüsli. Er war gleichzeitig Wirt im Talhof … . Der Namensstreit und offenbar auch die Kränkung schwelte jahrzehntelang weiter. Man wollte die Linie 5 umtaufen: Bahnhof – Riethüsli. Der QV Riethüsli wurde bei der Stadt vorstellig und die zeigte Verständnis. Das Problem war aber, dass man schon eine (Bahn-)Station mit dem Namen Riethüsli hatte. Es brauchte Jahre und einen bundesrätlichen Entscheid, bis 1959 das Kuriosum Tatsache wurde, dass an zwei verschiedenen Orten – mit der Posthaltestelle sind es sogar drei – offizielle Haltestellen im Quartier mit dem Namen Riethüsli existieren. Aber wir Riethüsler sind offensichtlich heute mit dem Namen Nest versöhnt. Der Nestweiher heisst immer noch so und wird von der Nestweiher-Gesellschaft (Nestweiher-Nachrichten) weiter gepflegt und unterhalten, der erste Kindergarten (1949) hat denselben Namen bis heute, seit 2017 trifft man sich im NestPunkt. 2009 – 2015 las man im Riethüsli das Neuste über das Quartier im Magazin fürs Nest, seither heisst es Riethüsli, das Magazin.

Also, Riethüslerinnen und Riethüsler, fühlt euch weiterhin wohl in unserem Nest!

Endstation Nest vor 1950: Am 18. Juli 1950 wird die Linie Bahnhof – Nest als erste Strecke in der Stadt durch den Bus ersetzt. Hinter dem Tram das Trassee der Appenzellerbahn, oben das Stammhaus der Gärtnerei Wartmann-Buchmüller. (Die Bus-Endstation befindet sich heute auf der gegenüberliegenden Seite)

Die Hochwacht

Haus Nr. 6 mit dem Wirtshaus Hochwacht mit Terrasse um 1910.     Foto Stadtarchiv

Im 10. Jahrhundert soll der Abt auf der Bernegg einen Wachtposten, eben eine Hochwacht, eingerichtet haben. Nach 920 bedrohten Hunnen aus der ungarischen Tiefebene das Kloster und die Stadt, die sie um 926 auch stürmten. Bis in die Zeit der Französischen Revolution wurden immer wieder Wachtposten dort oben stationiert, die mit Höhenfeuern mit anderen solchen Posten in Verbindung standen.

Aber was soll dieser ehemalige Wachtposten mit dem Namen Hochwacht zu tun haben, den wir im Riethüsli auch für andere Orte verwenden? Die Tramlinie Nr. 5 hiess von 1911 bis 1913 Union – Hochwacht. Heute gibt es die Busstation dieses Namens, eine Strasse, manchmal einen Kiosk und ein ganzer Quartierteil nennt sich so. Der damalige Stadtrat Fredy Brunner hatte sich an der HV des QV Riethüsli 2013 dezidiert als Hochwächtler und nicht als Riethüsler vorgestellt.

Eindeutig ist der Flurname Hochwacht auf der Bernegg oben zu verorten. Aber warum und seit wann wurde dieser Name auch im heutigen Gebiet Hochwacht verwendet? Bis nach 1900 hiess die Gegend eigentlich Untere Hofstetten und war ein Landwirtschaftsgebiet. 1905 wurde erstmals in diesem Gebiet gebaut: Das Wohnhaus mit der heutigen Adresse Nr. 6, das Wirtshaus Hochwacht (1906 bis 1917) mit Aussichtsterrasse im Parterre. Bald folgten andere Häuser, und die Gemeinde Straubenzell sah sich bemüssigt, eine Erschliessungsstrasse zu bauen.

Wie sollte der 1912 bis zur Fähnerenstrasse fertiggestellte Strassenabschnitt heissen? Die Geschichte soll so gehen: Bei einer Begehung während der Bauzeit sinnierten die Bauleute über den neu zu findenden Strassennamen und blickten zur Hochwacht hinauf. Also warum nicht Hochwachtstrasse, dachten sie, dass Wirtshaus hatte schon diesen Namen seit 1905. So soll es gewesen sein – und wer eine andere Geschichte dazu kennt, muss sich melden … .

Das Tal der Demut

Will man die oft gestellte Frage beantworten, woher das Tal der Demut seinen Namen hat, muss man schlussendlich demütig feststellen, dass man es nicht so genau weiss.

Es gibt keinen alten Flurnamen Demut. Er ist offensichtlich eine naturschwärmerische Schöpfung aus dem 19. Jahrhundert, vielleicht aus der Biedermeierzeit. Aus dem Priesterseminar in St. Georgen sollen sich damals hier Priester im einsamen, ruhigen Tal in der Natur, mit Demut das Brevier lesend, erholt haben. Auf der Eschmannkarte von 1840/46 erscheint erstmals der Name Tal der Demuth.

Äbtischer Grenzatlas von 1730: Das noch namenlose Tal. Bis 1805 war die Strasse die Grenze zwischen der Abtei und der Stadt, mit dem Grenzkreuz Mitte ganz links oben beim späteren Nestweiher. Unten die Siedlung Watt, auf der Bernegg die Hochwacht, Mitte rechts die Weierweid – ohne Weiher.

Um 1915: Winterliches Tal der Demut, die Masten gehören zu der hier nicht sichtbaren Tram-Endstation.

Riethüsli mit dem Tal der Demut 1944: In der noch intakten Wattsiedlung wurde damals kriegsbedingt Gemüse angepflanzt und 31 Jahre später wurde die Gewerbeschule gebaut.

Was seither im stillen Tal der Demut geschah …

Beim Beitrag zum Flurnamen Weierweid (Das Wunder im Tal der Demut) sind die verschiedenen sportlichen Pläne und realisierten Projekte aufgelistet. Doch im Tal ging es nicht immer nur ruhig und demütig zu und her. Der damalige Schulweg der Riethüsler nach St.Georgen durch das Tal hatte es in sich. So berichtete Erika Mangold von Glünggis und Exhibitionisten, so dass für die Schüler Polizeischutz aufgeboten wurde, aber auch von den täglichen Zielübung mit Steinen nach den Laternen (Quartierzeitung 2010/3). In den 30er-Jahren veranstaltete der Skiclub Riethüsli Langlaufwettkämpfe und als Exklusivität Skijöringrennen. Vor einigen Jahrzehnten war das nächtliche Tal der Demut für kurze Zeit der St.Galler Strassenstrich.

Für das Etappenziel St.Gallen an der Tour de Suisse in den 1980er-Jahren wurde für Beat Breu extra vor dem Ziel an der Demutstrasse als letzter steiler Stutz die Teufener Strasse ‘eingebaut’, der „Bergfloh“ wurde nur Sechster. In den 1990er-Jahren initiierte und bezahlte die Stiftung zum grünen Zweig die jedes Jahr prächtig blühende Kirschbaumallee. ‘Unser’ Stadtrat Fredy Brunner liess die erste Strassenbeleuchtung mit Bewegungsmeldern installieren, und am 24. Februar 2009 ging man beim Einsturz der Turnhallendecke knapp einer Katastrophe vorbei.

Und heute?

Wunderbarerweise ist das Tal immer noch eine Naturidylle mit weidenden Kühen, dem renaturierten Weierweidbach und den beiden Froschtunneln. Der Wildwechsel zwischen Bernegg- und Falkenwald wird tatsächlich von den Rehen benutzt und ist von 2 Tafeln mit Laternen entsprechend gekennzeichnet.

Eine der rund 30 Verkehrstafeln im Tal der Demut – mit Beleuchtung.

Aber die Demutstrasse ist auch eine vielbenutzte Verbindungsstrasse und ein beliebter Parkplatz. Dazu ist sie top ausgerüstet: Zurzeit sind es – je nach Zählweise – rund 30 Verbots- und Warntafeln. So bleibt die Hoffnung, dass uns das Tal so erhalten bleibt mit seiner Vergangenheit und seinen Geheimnissen. Es braucht keinen besonderen Mut mehr wie früher, als die Schüler durch das winterliche, noch dunkle Tal zur Schule gingen. Die Katholiken mussten sogar noch früher aufstehen, wenn sie zur Rorate nach St.Georgen eilten. Allerdings war die Angst öfters auch selbstverschuldet: Für Knaben und Mädchen hatten die Gläser der Gaslaternen magische Anziehungskraft. Sie waren eine Herausforderung und Mutprobe zugleich. So blieb die Beleuchtung mehrmals jährlich über Tage wegen den gezielten Schneebällen und Steinen ausser Betrieb.

24. Februar 2009: Turnhallen-Einsturz.

Wei(h)erweid

Erstrahlt in frischem Glanz: Das Schützenhaus Weierweid. Foto: Emil Annen

Gerade wurde das Schützenhaus Weierweid restauriert und der Weierweidbach renaturiert und somit ist es Zeit, sich einmal zu fragen, wo dieser Weiher eigentlich ist oder war.

Belegt ist laut Ernst Ziegler, dass ein Weiher westlich von St.Georgen auf einer Weide 1655 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Gespiesen von einem Bach von der Beckenhalde. Dieser fliesst seit jeher durch das Tal der Demut als Weierweidbach Richtung Riethüsli in den Wattbach.

Hier endet der Weierweidbach: bei Unwettern entwickelt er sich zum Wildbach und ergiesst sich als Wasserfall in den Wattbach, wie hier im Jahre 2014. Foto: Fredi Hächler

Zum Weiher: Dieser wurde offensichtlich im 19. Jahrhundert zugeschüttet oder er verlandete einfach. Es gibt von ihm keine Abbildung und keinen Eintrag auf alten Karten. Aber die Gegend wird immer noch mit Weierweid beschrieben, so auch auf dem Stadtplan von 2019.

Mit dem Weiher ist offenbar auch das ‘h’ im Namen verschwunden, wie bei den Drei Weieren. Aber das Gebiet mit dem Flurnamen Weierweid hat eine längere Geschichte.

Der um 1900 errichtete Fussballplatz des FC Blue Stars St.Gallen, den der FCSG 1910 zu einem Fussballstadion ausbauen wollte. Vermuteter Standort des ehemaligen Weihers. Stadt St.Gallen

Spätestens um 1900 wurde das Gelände ausgeebnet und zwar vom damals vornehmsten Fussballklub, dem FC Blue Stars St.Gallen, als erster Fussballplatz der Stadt. Als der Klub sich 1908 auflöste, wollte der FC St.Gallen auf diesem Platz zusammen mit der Stadt ein Fussballstadion mit Eisfeld errichten. In der städtischen Abstimmung von Januar 1910 wurde der Antrag mit 4189 Nein gegen 699 Ja deutlich abgelehnt. Nun wollte der FCSG das Land privat erwerben. Doch die Feldschützen-Gesellschaft St.Gallen machte dem Eigentümer ein weit besseres Angebot, und der FCSG kam schon im Oktober 1910 zu seinem Espenmoos.

Die Malerin Stefanie Eicher bei der Beschriftung. Foto: Emil Annen

Die Beschriftung des Schützenhauses haben sich die Schützen nicht einfach gemacht PDF

Die Feldschützen-Gesellschaft

Die 1850 gegründeten Feldschützen-Gesellschaft der Stadt hatte schon in den 1860er-Jahren beim späteren Wirtshaus Schützenhaus (Abbruch 2020) einen 300-Meter-Schiessstand errichtet, Abbruch nach 1904. 

Eines der temporären Gebäude für zehntausende Schützen aus der ganzen Schweiz. 1904

Die grosse Zeit der Weierweid kam 1904 mit dem Eidgenössischen Schützenfest. Weit in das Tal der Demut hinaus wurden gigantische, mittelalterlich anmutende Gebäude für wenige Tage errichtet, mit Hunderten von Schiessscheiben. Nur das heutige Schützenhaus Weierweid mit der Schiessanlage überlebte.

Das Wunder im Tal der Demut

Man muss die Entwicklung seit 1900 bis heute der Weierweid und im Gebiet bis zum Riethüsli als kleines Wunder betrachten. Grossmehrheitlich ist das Tal bis heute unüberbaut geblieben, ja mit der Renaturierung des Weierweidbaches ist nochmals eine deutliche Aufwertung zu einer grünen Oase erfolgt. Nach 1900 herrschte eine akute Wohnungsnot in der Stadt. Doch wurde erstaunlicherweise keine Grossüberbauung realisiert. Aber die freie Fläche weckte immer wieder Begehrlichkeiten. 1914/1922 wollte der QV Riethüsli eine grosse Eisbahn (Teilflutung des Tales) realisieren, 1932 ein Schwimmbad mit Eisfeld und 1941 verkaufte die Schützen-Gesellschaft Land für den Tennisklub St.Georgen. 1975 wurde die Gewerbeschule erbaut. Doch noch immer weiden Kühe im Tal der Demut. Die Stadt stellt Warntafeln auf wegen des Wildwechsels und 2012/13 wurden für 380’000.- Franken zwei Froschtunnels erbaut.

Nun wurde also der Weierweidbach teilweise wieder ans Tageslicht gebracht. Er war früher unser Dorfbach durch das Riethüsliquartier. Er speiste den Liebeggweiher und trieb die Sägerei an. Nach einem Gewitter endet er jeweils als kleiner, imposanter Wasserfall im Wattbach.

SCHEFFELSTEIN

Das vom Bildungsbürgertum der Stadt 1887 auf dem Vogelherd errichtete Denkmal für Victor von Scheffel, Postkarte mit hineinkopierten Personen.       StadtASG

1855 schuf der deutsche Dichter Victor von Scheffel (1826-1886) seinen süffigen Heimatroman Ekkehard. Der Bestseller hatte schon zu seinen Lebzeiten (90!) Auflagen erfahren. Es war die Geschichte des St.Galler Mönchs Ekkehard II., angereichert mit der Geschichte der verliebten Herzogin Hadwig von Schwaben. Und was hat die Geschichte mit dem Riethüsli zu tun? Gute Frage. Der Scheffelstein könnte z.B. auch auf dem Freudenberg oder Rosenberg stehen … .

Nun, das Denkmal thront nun einmal bei uns seit 1887 oben auf dem Vogelherd. Dort, wo jeweils unser Quartier-Weihnachtsbaum steht. Auf dem Stadtplan wurde es 1897 erstmals verzeichnet. Das St.Galler Bildungsbürgertum sah sich bemüssigt, dem Dichter des damaligen europäischen Bestsellers mit dem st.gallischen Schauplatz die entsprechende Ehre zu erweisen. Das Denkmal wurde um 1940 aus unbekannten Gründen zum heutigen, schlichteren Denkmal neben dem Haus Vogelherd zurückgebaut, wo es heute, hinter Pflanzen versteckt, ein bescheidenes, vergessenes Dasein fristet.

Das Wirtshaus Scheffelstein (1904 bis 1946)

Das Wirtshaus Scheffelstein kurz nach 1904 an bester Aussichtslage, damals noch mit Turm, Terrasse und im Untergeschoss der Festsaal.                                                    StadtASG

An bester Aussichtslage auf die Stadt wurde 1904 das vornehme Wirtshaus Scheffelstein erbaut. Man nutzte den damaligen städtischen Wirtschaftsaufschwung in der Stickereihochblüte und verwendete den Namen des Bestsellerautors für ein Aussichtsrestaurant der oberen Preisklasse. 1943 zerstörte ein Brand den Dachstock. Nach dem Wiederaufbau ohne Turm wurde noch bis 1946 gewirtet, seither ist es ein begehrtes Wohn- und Geschäftshaus mit toller Aussicht.

Von den Innenaufnahmen des Festsaales mit Sujets aus dem Ekkehard-Romans wurden damals Postkarten hergestellt.    OBG

Der Scheffelstein galt bald als  d a s   Aussichtswirtshaus der Stadt. Die 1888 erbaute Reservoirtreppe wurde um 1920 in Scheffelsteinweg umgetauft. Zudem zählten die Wiesen um die Bernegg während Jahrzehnten auch zu den beliebten städtischen Skigebieten.

Vor 1910: Skilaufen beim Scheffelstein mit einem Stock und im Rock.                           StadtASG

1943: Die Brandstätte als Attraktion. Der Dachstock wurde (aber ohne Turm) wieder aufgebaut. Das Wirtshaus existierte noch bis 1946. StadtASG                                                                           

Die vergoldete Inschrift zeugt heute noch vom Stolz der Erbauer.

Hofstetten

Das noch ländliche Hofstetten auf dem von Stadtplan 1912: Erste neue Häuser an der Hochwacht- und der Fähnerenstrasse.

Hofstetten oder Hofstatt bedeutet Hausstelle. Man siedelte dort oben an sonnigen, wasserreichen Stellen als Bauer oder als äbtischer Ministerialbeamten. Diese bauten sich Land- und Sommerhäuser vor der Stadt. Schon 1255 wird im Urkundenbuch der Klosterabtei erstmals dieser Flurname erwähnt (in der Watt 1282). Hofstetten reichte von der Hochwacht (Unter-Hofstetten) bis zum heutigen Oberhofstetten. Über Jahrhunderte genoss man die bevorzugte Lage bis nach 1900. Zwei Ereignisse störten den ländlichen Frieden: 1405 wurden in den Appenzellerkriegen von unseren Nachbarn die Häuser auf Hofstetten und in der Watt gebrandschatzt. 1471 suchten und fanden die Stadt und das Kloster dringend benötigte Wasserquellen dort oben. Die sog. Hofstettenquelle (beim Spielpaltz) wurde in Holzleitungen bis 1895 zum Gallusbrunnen in der Stadt geleitet.

Beginn der Bauarbeiten in Oberhofstetten in den 1970er-Jahren: Zuerst die Oberhofstetten- und die Guggerstrasse (Mitte).

Erst in den 1970er-Jahren wurde Hofstetten mit der Gründung der Wohnbaugenossenschaft Oberhofstetten als idealer Wohnort entdeckt, später folgten die Schule und die beiden Kirchen. Noch steht das 1649 erbaute Forsthaus. Geschichte sind die Fabrik (1886 bis 1956), das Wirtshaus Säntis (neben dem Forsthaus um 1880 bis um 1920) und die Sprungschanze (1929 bis 1962).

Friedliches Riethüsli mit Oberhofstetten nach dem Krieg 1945: Die Schanze musste zuerst wieder aufgebaut werden, rechts oben das Forsthaus.

Der Weg zur Höll

Einen Flurnamen wie Höll müsste man doch mit einer entsprechenden Geschichte dramatisch erzählen können. Aber eine solche gibt es nicht – oder sie ist nicht mehr bekannt.

Zwar wurde diese Gegend erstmals 1719 in einem Dokument aus dem Stiftsarchiv so genannt. Doch wurde sie auch „I der Held“ genannt, was tiefe Schlucht oder entlegener Hohlweg bedeutet. Seither wird in munterer Abwechslung diese Gegend einmal „Höll“ (z.B. im Stadtplan 2018), einmal „I der Held“ (siehe Abbildung Wegweiser) bezeichnet.

Wo ist diese Höll/Held? Sinnigerweise führt der Weg zur Höll von der Liebegg dem Wattbach entlang bis zum tiefsten Punkt unseres Quartiers (687 Meter) und ist bei schönem Wetter ein romantischer Spaziergang.

„Hier geht es zur Hölle“

Und wo ist jetzt die Pointe, das Gruslige an der Geschichte? In der Quartierzeitung 2011/3 beschreibt Rosmarie Pfister-Bernet ihr traumatisches Erlebnis auf dem Weg zur Höll. Es muss um das Jahr 1941 gewesen sein, als sie auf einem Spaziergang mit dem Grossvater, der Mutter, der kleinen Schwester und dem Hund bei Wirtshaus Liebegg nach rechts abbogen. Hier hockte damals auf einer Stange ein geschnitzter, hämisch blickender Teufel. Dieser wies mit seinen spitzen Krallen zur Wattbachstrasse. Auf der Tafel an der Stange stand: Zur Hölle.

Als sie in den Waldschatten eintauchten, begann Rosmarie zu weinen: Ich will wieder heim, hier geht es zur Hölle! Die kleine Schwester begann ebenfalls zu flennen, der Hund winselte und legte sich flach auf den Boden. Alles Beschwichtigen und gute Zureden nützte nichts, sie mussten umkehren.

Die teuflische Holzfigur war wohl als Spass gedacht. Doch auch andere Kinder weigerten sich, ‘durch die Höll zu gehen’. Eltern beschwerten sich bei der Polizei. Eines Tages war der Spuk tatsächlich verschwunden und ersetzt durch eine Wandertafel, die wie heute nach Haggen wies. Nur noch ältere Riethüslerinnen und Riethüsler können sich an unsere Höll erinnern, aber niemand weiss mehr, warum die Höll gerade dort unten sein soll … .

Idyllische Höll: Der Steg über den Wattbach führt zur Naturbadi mit Grillplatz. Fotos: EG

Ausschnitt aus dem Stadtplan 2018 mit der Höll: 1  Tiefster Punkt des Quartiers mit Wandertafel. 2  unbekannter Sägiweiher. 3  Wattbachstrasse nach Haggen.

Blauer Himmel

Die Gegend zwischen der Schneebergstrasse und der Oberen Berneggstrasse wurde schon 1860 auf dem damaligen Stadtplan mit dem Flurnamen Blauer Himmel bezeichnet. Ein städtischer Landsitz oder Gutshof war wohl schon einige Zeit früher errichtet worden, im eidgenössischen Katasterbuch ist ein solcher erstmals 1802 erwähnt.

Aber was uns mehr interessiert: Warum der verträumte Name Blauer Himmel? Die Erklärung lautet bei Arnet so: Nach einem Gewitter sah man nach Westen von hier wieder zuerst den blauen Himmel. Banal, aber mit einer gewissen Logik.

Blauer Himmel (vor 1802 bis um 1960): Im ehemaligen Landsitz, das zuletzt auch ein Katzenasyl war, hauste bis zum amtlichen Abbruch Johannes Rotach mit seinen Tieren.

Der ehemalige Gutshof war um 1960 so baufällig, dass die Stadt den Abbruch verfügte. Bis anhin hatte der ehemalige Quartiermilchmann und Kleinbauer Johann Rotach in dem eigentlich leerstehenden Gehöft mit seinen Tieren gehaust. Nach Protesten aus dem Quartier und Leserbriefen in der Tagespresse wurde dem einsamen Mann die damalige Scheune im Ruckhaldenrank als Obdach von der Stadt angeboten. 

*Fredi Hächler
Autor des Buches „Riethüsli – Geschichte und Geschichten“
Stadthistoriker, langjähriger Mitarbeiter des Stadtarchivs

Flur-und Ortsnamen in der Schweiz

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1 Kommentar

  1. Egidio Mombelli

    19.08.2020 / 10:36 Uhr

    Scheffelstein 1943
    Da war ich auch dabei !!!
    Kann mich noch haargenau daran erinnern, an einem Nachmittag nach Schulschluss.
    Der Grossbrand war auch aus Friedrichshafen zu sehen, die meinten, St. Gallen
    sei bombardiert worden.
    ….Ursache ? Man sagte, es sei im Estrich gelagerte Schuhwichse gewesen, die sich durch die Hitze selbst entzündet habe.

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