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29.09.2020

Seit 1904 in der Mitte des Quartiers

Die Bäckerei Talhof und ihre 115-jährige Geschichte.

„Gasthaus & Bäckerei z.Thalhof“ um 1910: Hier wurde der QVR am 19. April 1910 gegründet, 1909 schon eine Post eingerichtet. Der stolze Wirt und Posthalter Rudolf Biland, hier vermutlich mit seiner Familie, war der erste Präsident des QV Riethüsli. StadtASG

Es gibt in unserem Quartier wohl kaum ein so mit Geschichten beladenes Haus wie den Talhof. Im 1904 errichteten Wohnblock eröffnete 1905 Rudolf Biland ein Gasthaus mit Bäckerei.

Fredi Hächler

Auf dem ersten erhaltenen Foto um das Jahr 1910 (siehe oben) sieht man die junge Familie vor dem Talhof, der heu­te praktisch immer noch unverändert im Zentrum des Riethüsli steht.

Rudolf Biland – ein Macher.

Was Rudolf Biland eigentlich von Beruf war, wissen wir nicht, aber was er geleistet hat, ist beeindruckend. Das Quartier Riethüsli südlich des Nestweihers entsteht erst nach 1900. Als Biland 1905 sein Wirtshaus mit Bäckerei eröffnete, hatte es schon acht Wirtshäuser im neuen Quartier, darunter so bekannte wie das Grosse Riethüsli, (seit 1822, ab 1889 mit Bahnstati­on), die Solitüde (1884) und in unmittelbarer Nach­barschaft das Nest (1837). Er spürte offensichtlich, was ein junges Quartier mit einigen Hundert Ein­wohnern brauchte.

Am 17. Februar 1909 stellte Rolf Biland zusammen mit 58 Bewohnern den Antrag für eine eigene Post, die schon auf den 1. Juli 1909 bewilligt wurde. Der Wirt und Bäcker war nun auch noch Posthalter. Am 18. April 1909 rief Biland in seinem Talhof Leute für eine Sitzung aus dem Quartier zu­sammen für die Vorbereitungsarbeit des geplanten Quartiervereins: Erste HV im Talhof am 12. Mai 1910, Präsident wird Rudolf Biland.

Wie sollte der neue Quartierverein heissen? Das Ge­biet um den Nestweiher war unter dem Namen Nest stadtbekannt. Doch Biland wollte für das Wirtshaus Nest seines Konkurrenten wohl nicht noch zusätz­lich Reklame machen. Man wählte den damals weni­ger bekannten Flurnamen Riethüsli. Dafür hiess die Tramendstadion der Linie 5 gegenüber dem Talhof seit 1913 Nest. Biland führte den QV Riethüsli bis ins Jahr 1929.

Der Talhof mit Wirtshaus und Bäckerei im Mittelpunkt – bis heute.

Nach der Aera Biland blieb der Talhof nicht nur geo­grafisch im Mittelpunkt. Laut Adressbuch übernahm ein Franz Blersch 1922 die Bäckerei, darauf folgten Ulrich Walt (1925), Karl Specker (1927), Richard Enderli (1954), Walter Hangartner (1959) und schliesslich Herbert Huber mit seiner Frau von 1960 bis 2000. Dieses legendäre Wirte- und Bäckerei-Ehepaar dürfte noch vielen älteren Riethüslerinnen und Riethüslern ein Begriff sein.

Friedliches Riethüsli in den Kriegszeiten um 1915: Auf Wunsch konnte man beim Talhof einen Zugshalt verlangen. Hinten Mitte das Wirtshaus Grosse Riethüsli, das 1962 abgebrochen wurde, ansonsten hat sich bei den Gebäuden kaum etwas verändert. Sammlung Peter Uhler

Doch das Beizensterben hatte im Quartier schon längst vor dem Jahr 2000 begonnen. Man fragte sich, ob nun auch im Talhof endgültig die Lichter ausgehen würden. Doch über­raschenderweise interessierte sich der Bäckereibe­trieb Schwyter für einen neuen Geschäftsstandort mit Café in unserem Quartier. Die Geschichte ging weiter.

Nach 1931: Gasthaus & Bäckerei zum Talhof (an der Ecke mit Shell-Zapfsäule!). Im hinteren Teil des Hauses Teufener Strasse 143 war das Postlokal, Eingang bei der 3. Treppe. Durch das Fenster rechts wurde die Post angeliefert, oberhalb ist die Tafel Post Riethüsli zu erkennen.                           StadtASG

Post 9012 Riethüsli.

Nach der Eröffnung der Post 1909 stellte Posthalter Biland Otto Brunner se­nior (der Grossvater vom späteren Stadtrat Fredy Brunner) als ersten Pöstler ein. Die Post wurde von der Hauptpost mit der Bahnpost zur Station Riethüsli geliefert und per Handwagen zur Post trans­portiert, siehe Foto aus dem Jahre 1948. Auch das appenzellische Riethüsli hinter der Liebegg gehörte bis nach dem Jahr 2000 zum Rayon der Postleitzahl 9012 Riethüsli. Allerdings zügelte die Post von 1967 bis 2014 vis-à-vis ins damals neue Postgebäude. Nach deren Aufhebung ist die Postagentur 9012 wie­der im Talhof.

Stilles Quartierzentrum 1948: Vor der Post steht der Handwagen, mit dem die Post täglich von der Bahnstation abgeholt werden musste, auf der anderen Strassenseite einer der vier Quartierkioske entlang der Teufener Strasse. Noch immer steht die Shell-Zapfsäule.                          StadtASG

Die alte Post im Talhof (heute der Kebab-Laden) hatte eine Grundfläche von nur 30 Quadratmetern. Mangels Diensteingang musste das Ein- und Ausla­den der Post während 58 Jahren durch ein Fenster erfolgen. Schon seit dem Jahre 1919 war der QV Riethüsli um eine öffentliche Telefonkabine bemüht. Erst 1931 gelang es Frl. Flora Güpfert als damalige Posthalterin mit Hilfe des Quartiervereins die Kreis-telefondirektion zu überzeugen, einen öffentlichen Telefonanschluss im Postlokal zu installieren. Frl. Güpfert musste 250 Franken und der QV Riethüsli 100 Franken an die Kosten zahlen. Das Telefonieren war nur während der Öffnungszeiten der Post mög­lich.

Der Talhof heute

Auch wenn das letzte Foto ein trügerisch ruhiges Bild vom ‘Quartierzentrum’ vermittelt, ist doch der der Unterschied zum heuti­gen Zustand eklatant. Weit über 10’000 Autos und Motorräder werden täglich auf der Ausfallstrasse ins Appenzellerland gezählt – und mittendrin der einzi­ge Ort im Quartier, wo man noch einen Kaficrème trinken und frisches Brot kaufen kann, neuerdings auch am Sonntag. Es ist keine Selbstverständlichkeit der Bäckerei Schwyter, dass sie während der fünfjährigen Bauzeit des Bahntunnels und der Stras­sensanierung diesen Standort nicht aufgegeben hat! Der Lärm, der Staub und kaum verfügbare Parkplät­ze waren nicht verkaufsfördernd. Allerdings hat die Stadt als Vermieterin des Talhofs in den letzten Jah­ren eine Mietzinsreduktion erlassen.

Die Teufener Strasse war in den letzten Jahren eine Zone im Quartier geworden, die man möglichst ge­mieden hatte oder schnell überquerte, am sichersten von 2007 bis Mai 2020 auf der Passerelle. Nun ver­sucht die Stadt mit viel baulichen Aufwand die Stras­se, die unser Quartier zerschneidet, wieder für mehr Lebensqualität und Sicherheit zu sanieren.

Der Artikel erschien zuerst im Magazin Riethüsli, September 2020

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