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3.01.2021

Mit dem Waldbademeister auf einen Tannennadeltee

Ein Riethüsler ist der erste zertifizierte Waldbade-Guide in der Schweiz.

Hassan Hjaij ist der erste in der Schweiz zertifizierte Waldbade-Guide. Schon früh entdeckte er den Wald als seine persönliche Kraftquelle. Im Riethüsli, wo er aufgewachsen ist, verbrachte er viel Zeit im Berneggwald und auf der Menzlen.

Text und Fotos: Alexandra Grüter-­Axthammer

Der Nebel hält sich hartnäckig auf der Solitüde an diesem Nachmittag im November. Erst als wir beim Räuberplatz ganz oben auf der Menzlen ankommen, lichtet sich der Nebel und die Sonne wärmt ein we­nig. Der 23-jährige Hassan Hjaij (ausgesprochen: Häschäsch) stellt seinen vollgepackten Rucksack ne­ben sich auf die Bank beim Grillplatz und nimmt die Thermoskanne heraus, in die er zuvor einige Tan­nennadeln ins heisse Wasser gegeben hatte.

Er absolvierte letztes Jahr den ersten Lehrgang zum Shinrin Yoku-Gesundheitstrainer in der Schweiz und darf sich nun Waldbade-Guide nennen. Mittlerweile lebt er in Rehetobel, gelegentlich gibt er im Riethüsli Kurse und für das Gespräch treffen wir uns auf der Solitüde.

Warum Baden und nicht Spazieren?

Shinrin Yoku ist japanisch und bedeutet so viel wie «das Bad im Wald.» Dieses steht ganz im Gegensatz zu unserem alltäglichen Leben, das oft geprägt ist von vielen Stunden an flachen und digitalen Gerä­ten. Die Verbundenheit mit der Natur war bis vor wenigen Generationen noch lebensbestimmend und die Menschen von der Natur abhängig. Shinrin Yoku ist in Japan eine anerkannte Massnahme der Präventivmedizin. Doch was unterscheidet einen Wald­spaziergang von einem Waldbad?

Beim geführten Bad im Wald werde angeknüpft an die Verbundenheit zur Natur, die Sinne würden ge­schärft und der Wald in seinen verschiedenen Di­mensionen wahrgenommen, sagt Hassan Hjaij. Es stehe nicht das Wissen über Pflanzen und Kräuter und deren Wirkung im Vordergrund. Es gehe viel­mehr darum, sich Zeit zu nehmen, den Blick auf Details zu richten, die Düfte des Waldes wahrzuneh­men und zu entdecken, welche Wirkung der Wald auf das persönliche Wohlbefinden habe. Das sei auch seine Inspiration gewesen, denn er spürte von klein auf die Wirkung des Waldes.

Zwar wusste er als Kind noch nicht, dass der Aufent­halt im Wald das Stresshormon Cortisol messbar senkt und damit auch den Blutdruck und den Puls. Auch nicht, dass das parasympathische Nervensys­tem, welches für die Entspannung zuständig ist, beim Waldbaden aktiviert wird.

Und doch zog es ihn in den Wald. Der junge Schwei­zer, dessen Name von seinem libanesischen Vater herrührt, erinnert sich an seine Kindheit. «In der Schule war es schwierig für mich, das heisst, es war auch schwierig für die anderen mit mir.» Er sei im Alltag oft sehr impulsiv gewesen und habe viel über­schüssige Energie gehabt. Im Wald sei er zur Ruhe gekommen. Als Jugendlicher suchte er zusätzlich die extreme körperliche Herausforderung und begann mit Kickboxen und Thaiboxen, mit dem Training entwickelte er auch die Achtsamkeit.

Vom Fallschirmaufklärer zum Zivildienst

Sport und Bewegung beruhigten seinen Körper und seinen Geist. So absolvierte er die Lehre als Dachde­cker und bewarb sich im Alter von sechzehn Jahren beim Militär als Fallschirmaufklärer. Er durchlief die mehrstufige, vordienstliche Ausbildung und trainier­te hart dafür. Er bestand alle sportlichen und ge­sundheitlichen Tests wie auch die Fallschirmkurse und begann die Rekrutenschule als Fallschirmauf­klärer. Ihn reizte die körperliche und die sportliche Challenge und nicht das Ziel, Krieg zu führen oder jemanden zu töten.

«Als mir bewusst wurde, dass ich im Ernstfall einen Menschen töten müsste, mit dem ich unter anderen Umständen Freundschaft schliessen könnte, wech­selte ich zur Führungsstaffel.» Danach leistete er Zi­vildienst. Nach einem Praktikum begann er den be­rufsbegleitenden Studiengang Sozialpädagogik. Doch er unterbrach das Studium, zu viele Kompro­misse hätte er eingehen müssen, und für ihn ist klar, dass er seine Lebenszeit bewusst und gezielt einsetzen möchte. Als er auf die Ausbildung zum Waldbade-Guide stiess, gefiel ihm die Idee. «Es ist das, was ich schon immer gemacht habe.»

Der Tee, den Hassan Hjaij angesetzt hat, ist fertig und er giesst ihn in die mitgebrachten Tassen. Der Duft erinnert an Weihnachten. Dabei erzählt er von seinen ersten Erfahrungen als Waldbade-Guide.

Bei den Waldbadekursen lädt er die Menschen ein, die Wärme der Sonne zu spüren, und erinnert sie an einen bewussten Atem. Es gibt kein «Muss», nur die Einladung, sich auf sich selbst einzulassen, die Acht­samkeit und der Respekt vor der Natur gehören zum Eintauchen in den Wald. So achte er etwa darauf, dass die Tannennadeln, die er für den Tee vom Baum nehme, sich leicht vom Ast lösen würden. «Wenn ich Kraft dafür brauche, möchte der Baum mir die Na­deln nicht abgeben.»

Anfang Jahr machte er sich selbständig und gründe­te die «Erlebniswelt Waldbaden-Ostschweiz». Er sei ganz zufrieden mit der Resonanz auf sein Angebot, sei es doch ein sehr spezielles Jahr mit der Corona-Pandemie. Das Waldbaden eigne sich für alle Men­schen, unabhängig vom Alter.

Den Tee haben wir ausgetrunken und langsam steigt der Nebel auf. Hassan Hjaij packt zusammen und ge­meinsam kehren wir zurück zur Solitüde und verab­schieden uns vom Wald.

Der Waldbade-Guide ist auch im Internet zu finden: www.erwaos.ch

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