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30.05.2020

Ein Leben für die Schule

Schulleiter Oskar Sturzenegger wird nach über 46 Jahren im Schuldienst pensioniert.

Oskar Sturzenegger leitete die Schule Riethüsli 27 Jahre lang und wird nun pensioniert. Sein letztes Dienstjahr geht in die Geschichte ein. Foto: EG

Elisabeth Weber (Riethüsli Magazin Mai 2020)

Oskar Sturzenegger sitzt in seinem Büro. Mit mindestens zwei Metern Abstand setze ich mich in eine andere Ecke des Schulleiterbüros. Das Schulhaus ist leer. Einige Lehrpersonen bereiten die Wochenpläne für ihre Klassen vor. Oskar Sturzenegger schüttelt immer wieder den Kopf: Wer hätte es für möglich gehalten, dass eines Tages der Schulbetrieb in die Elternhäuser verlegt werden und das Schulhaus während der Schulzeit einfach leer stehen würde. Ob es noch überhaupt zu einem offiziellen Abschied kommen wird?

Uns beiden wird bewusst, dass dieses Schuljahr in die Geschichte eingehen wird.

«Oskar, du kannst alles werden, aber sicher nicht Lehrer»

Auf meine Frage, wie er eigentlich Lehrer geworden sei, lacht Öski. Hätte er seinerzeit nach dem Rat des Berufsberaters entscheiden dürfen, dann wäre aus ihm ein Agroingenieur geworden. Leider passte diese empfohlene Laufbahn nicht mit den Plänen des Vaters zusammen, einem Lastwagenchauffeur. Dieser sah einer akademischen Karriere seines Sohnes mit einer gewissen Skepsis entgegen. Ein Freund riet ihm, den Sohn stattdessen ins Lehrerseminar zu schicken – mit dem Hinweis, man könne ja auch später noch studieren.

Was aus der Familienlogik des fünffachen Familienvaters vernünftig klang, liess den Kopf des Berufsberaters schütteln. Oskar Sturzenegger gesteht, dass er dessen Reaktion nie vergessen habe. Der Berufsberater habe ihn gefragt: «Schaust du auch ab und zu in den Spiegel? Oskar, du kannst alles werden, aber sicher nicht Lehrer. Schau dich doch an!»

Oskar Sturzenegger folgte dem Rat des Vaters, absolvierte das Lehrerseminar und wurde 1974 als Mittelstufenlehrer in den Boppartshof gewählt. Das moderne, neu erbaute und für ihn eingerichtete Schulzimmer war sein Klassenzimmer. Anfänglich führte er einen Klassenzug mit sage und schreibe 37 Schülerinnen und Schülern. 19 Jahre lang blieb er als Lehrer im Boppartshof tätig. Darauf folgte der Wechsel ins Riethüsli.

19 Jahre Boppartshof – 27 Jahre Riethüsli

Wiederum kam die Idee zum weiteren Werdegang von aussen. Der damalige Schulamtsleiter wies Öski Sturzenegger auf die Möglichkeit einer Weiterbildung zum Schulleiter hin. Oskar verfolgte diesen Plan und wurde 1993 zum Schulleiter des Schulhauses Riethüsli gewählt. Er wohnte schon seit 1983 mit seiner Familie im Quartier an der Oberhofstettenstrasse. Bereits während seiner Kindheit hatte seine Familie einige Jahre im Quartier gewohnt, an der Fähnernstrasse.

Als Vorsteher erteilte er vorerst auch Unterricht. Als Schulleiter verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Führung des Lehrerteams. Wir staunen beide, wie sehr sich der Schulbetrieb in 46 Jahren und 4 Monaten aktivem Schuldienst in der Stadt St.Gallen verändert hat. Die Beziehung zwischen der Lehrperson und dem Schulkind ist immer wichtiger geworden.

Ein grosser Wechsel im Schulbetrieb kam mit dem Modell der geleiteten Schule. Eine Lehrperson alleine kann gar nicht mehr eine Klasse führen. Heute müsse viel mehr abgesprochen werden. Die Planung von Stundenplänen, Pensen, Klasseneinteilungen braucht Zeit. Absprachen mit dem Lehrerteam, regelmässige Visitationsbesuche bei der Lehrerschaft und pädagogische Absprachen sind ein wesentlicher Bestandteil des Modells der «Geleiteten Schule». «Ich versuche, den Lehrpersonen den Rücken freizuhalten», beschreibt der Schulleiter seine Tätigkeit. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Eltern sei komplexer und anspruchsvoller geworden. Gerade wenn es um Vermittlung und um ein massvolles Miteinander gehe, werde er als Schulleiter oft auch in Elterngespräche miteinbezogen.

Höhepunkte

Im Rückblick auf die mehr als 46 Jahre dauernde Lehrertätigkeit bleiben viele Erinnerungen zurück. Oskar liebte Lager, egal welcher Art: Landschulwochen und Winterlager. Man lerne, so sagt er, die Kinder in einer solchen Lagerwoche eben noch anders kennen. Auch an die Zusammenarbeit im Team und insbesondere Teamentwicklungsprozesse erinnert er sich gern. Dann kommt das Stichwort, bei dem vermutlich alle Augen von jenen, die in St.Gallen gross geworden sind, zu leuchten beginnen: die Kinderfeste. 18 Kinderfeste, rechnet er aus, habe er begleitet, 3 als Schüler und 15 als Lehrer! Für kein einziges Kinderfest habe er den Aufwand bereut. «Wir haben immer sehr viel von den Kindern und deren Eltern zurückbekommen.»

Was Oskar Sturzenegger am meisten schätzte, war sein ausgeglichenes und hervorragendes Team an Lehrpersonen, Hauswartcrew und allen anderen Beteiligten einer solchen Schule. «Ich kann mich nur verneigen, was diese Leute für einen Superjob machen, dafür ein herzliches Dankeschön!», sagt Oskar Sturzenegger.

Was nun?

Oskar Sturzenegger lebt seit 7 Jahren mit seiner Frau in Staad. Stellvertretungen als Lehrer kann er sich nicht vorstellen, hat aber bereits andere Projekte. «Krönlikids-Trainer» werde er, sagt er und lacht. «Ich werde Fussball-Trainer von den ganz Kleinen. Diese Kinder sind zwischen 4 und 6 Jahre alt. Jeden Mittwochnachmittag wird getschuttet. Es geht um die Bewegung mit dem Ball. Ich habe selbst immer gern Fussball gespielt.» Und dieses Amt hat die angenehme Begleiterscheinung, dass sich alle diese pensionierten Trainer einmal in der Woche ausserhalb des Trainings treffen. Man gehe dann zusammen wandern, Velo fahren, etwas Gutes essen und trinken oder jassen.

Und besonders freut er sich auf die grossen Velotouren, die er auf seinem neuen E-Bike zusammen mit seiner Frau machen wird, sobald die Welt wieder etwas in normalere Bahnen gekommen ist.

Das Schulhaus ist immer noch leer. Der Abstand von zwei Metern wurde selbstverständlich während des gesamten Gesprächs eingehalten und so bleibt die Hoffnung, dass der Heimweh-Riethüsler in spe am Ende des aussergewöhnlichen Schuljahres gebührend Abschied nehmen kann von der Schule, dem Lehrerteam und natürlich von den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern.

So berichtete die QZ Riethüsli 1993 über die Wahl.

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