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8.11.2021

Die ansteckende Leidenschaft von Heidi Kundela

Im Riethüsli wird seit 25 Jahren gesammelt für Rumänien und die Ukraine.

Heidi Kundela ist das Gesicht der Sammlung im Riethüsli.

Bericht: Claudia Jakob, Fotos: Heidi Kundela, Erich Gmünder

Seit 25 Jahren organisiert Heidi Kundela mit der Unterstützung ihres Mannes und freiwilligen Helfer*innen zweimal im Jahr die Sammlung für die Selbsthilfeprojekte in Rumänien und in der Ukraine im Quartier Riethüsli. Eine lange Zeit, in welcher Freundschaften geknüpft wurden, Leute geholfen haben und wieder gegangen sind, aber das Feuer und die Begeisterung nicht gemindert wurden.

Haben Sie ein Velo zu Hause, welches Sie nicht mehr brauchen? Müssten Sie wieder einmal Ihren Kleiderschrank ausmisten? Vielleicht lagern Sie in Ihren Küchenschränken unnötiges Geschirr? Oder verfügen Sie über Werkzeug, welches Sie nicht mehr benötigen? Oder einen gebrauchten Computer? Sollte dies der Fall sein, kann ich Ihnen ein gutes Projekt empfehlen, welches Ihren Gegenständen mindestens ein weiteres Leben schenkt: die Sammlung des Vereins für Selbsthilfeprojekte im Osten der Sektion Ostschweiz (VSO).

Sicher ist Ihnen das Plakat aufgefallen, welches jeweils im Frühling und im Herbst überall im Quartier anzutreffen ist. Vor einem Jahr durfte ich zum ersten Mal als Helferin die Sammelaktion unterstützen und staunte nur über die Berge von Kleidern, Geschirr, Spielzeug und Fahrrädern, welche zusammengetragen wurden.

Doch wer bekommt alle diese Güter? Und wie hat alles begonnen? Die Antwort liegt auf der Hand: Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, darf ein Gespräch mit Heidi Kundela nicht fehlen.

Die Geschichte des VSO

Der Verein für Selbsthilfeprojekte im Osten (VSO) wurde 1992 in Chur gegründet. Die ersten Hilfspakete nach dem Umsturz in Osteuropa wurden jedoch schon 1990 nach Rumänien gesendet. Ein Mann, der auch heute noch beim Verein dabei ist und die Idee mit den Velowerkstätten hatte, ist Fredy Schleier aus Landquart. Im März 1992 wurden die ersten Velowerkstätten in Dorohoi, Rumänien, eröffnet, um der grossen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Ein Ehepaar aus Abtwil, Ueli und Ursula Iseli, erfuhr von den Velotransporten und entschloss sich mit einem befreundeten Paar dazu, selbst eine Sammelaktion zu starten, die im September 1992 in Abtwil stattfand.

Das Feuer griff um sich und weitere Gemeinden und Quartiere kamen dazu, so das Riethüsli im Jahre 1996. Heidi hatte im Tagblatt einen Aufruf gelesen, dass in Abtwil Fahrräder gesammelt wurden. Sie war so angetan von der Idee, dass sie vorschlug, selbst eine Sammelaktion zu organisieren. Da sie grosse Unterstützung aus dem Quartier erhielt und ein zuverlässiges Team von Helfer*innen über all die Jahre dazugehörte, hielt sich der Organisationsaufwand in Grenzen und die Sammlung wurde zwei Mal jährlich im Riethüsli durchgeführt (ausser im Mai 2020).

Neue Kontakte – neue Projekte

Einiges hat sich in den letzten 25 Jahren kaum verändert: So engagieren sich aus der Ostschweiz fast immer noch die gleichen Menschen für das Projekt (Ueli Iseli ist leider inzwischen verstorben und seine Frau altershalber nicht mehr aktiv), die Kleiderläden in Rumänien werden weiterhin beliefert, die Velowerkstätten sind noch dieselben und der Hauspflegedienst in Dorohoi (die Löhne für zwei Hauspflegerinnen) wird mit einem Beitrag aus den Spenden finanziert.

Seit jedoch Petér Szeghljànik, ein junger Pastor aus der Ukraine, in Chur zufällig auf einen Organisator des VSO gestossen ist, hat sich die Hilfe für Rumänien weiter in die Ukraine verlagert (West-Ukraine an der Grenze zu Rumänien). Wer schon einmal an der Sammlung mitgeholfen hat, weiss, dass Petér ein Mann mit unendlicher Energie und einer charismatischen Ausstrahlung ist, die einem sofort das Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn er von den Projekten und den Kindern in der Ukraine erzählt.

Durch seinen unermüdlichen Einsatz ermöglicht er die Verteilung der Güter und fährt ein bis zweimal im Monat zwischen der Schweiz und der Ukraine hin und her (um hier weiteres Gebrauchtmaterial abzuholen, wie etwa medizinische Geräte und Spitalbedarf).

Reise in die Ukraine

Im September 2017 reisten Franz und Heidi Kundela in die Ukraine zu Peter S., um einige der Projekte zu besuchen. Heidi hat mir beim Interview eine liebevoll gestaltete Mappe gezeigt, aus welcher sie mir von der spannenden Reise erzählt hat.

Besonders beeindruckend ist das Projekt Heim Nefelejcs, wo Kinder mit einer körperlichen und geistigen Beeinträchtigung betreut werden – ein Novum überhaupt in diesem Staat, der sich kaum um Menschen mit einer Behinderung kümmert.

Mit Spendengeldern und dem Erlös vom Veloverkauf und anderen Kleinprojekten wurde eine alte Mühle in ein Heim umgebaut, die Ausstattung wurde ebenfalls durch viele Spenden finanziert oder direkt mit Gebrauchtmöbeln aus der Schweiz, Teppichen (Tisca Bühler), Fenstern und Türen (Hotel-Ausbau).

Qualität nimmt zu

Da Heidi Kundela von Beginn an jede Aktion organisiert hat, kann sie auch die Frage beantworten, was sich in den letzten 25 Jahren verändert hat. Vor allem die Qualität der Fahrräder habe zugenommen, sie seien in einem besseren Zustand als noch zu Beginn der Sammlungen (verstärkt noch seit der Pandemie, wo viele St.GallerInnen sich ein neues Velo leisten und das „alte“ für ein zweites Leben zur Verfügung stellen wollten).

Was sich jedoch nicht verändert hat, ist die Menge an Material, das zusammenkommt, einfach ein Wahnsinn! Bei der letzten Sammlung im Mai waren es etwa 500 Kleidersäcke, 70 Schachteln sowie 40 Velos – alles in allem etwa eine Tonne Material. Verändert haben sich ebenfalls die Projekte, welche unterstützt werden. Hauptgedanke ist jedoch nach wie vor HILFE ZUR SELBSTHILFE! Also geht es nicht darum, Material zu schenken, sondern das Material, das wir hier sammeln, dient den Menschen im Nordosten von Rumänien und der West-Ukraine als Arbeitsmaterial, das repariert, aufbereitet und verkauft wird. Dies schafft Arbeitsplätze.

Schwerpunkt dabei sind zwar immer noch die Velowerkstätten und der Kleiderverkauf – diese ermöglichen ein Einkommen für die etwa 90 beteiligten Familien. Neu aber sind kleinere Projekte, wie z.B. das Integrations-Projekt für Roma-Familien in der Region West-Ukraine: Für die jüngsten Roma-Kinder ist eine Kita entstanden, welche aus dem Verkauf von Haushaltgegenständen aus der Sammlung mitfinanziert wird, geleitet von Elemir, Pastor, Handwerker und Sozialarbeiter in einem, unterstützt von ortsansässigen Frauen für die Mittagsmahlzeit und Kinderbetreuung – wiederum eine Gelegenheit für eine Erwerbsarbeit für die ortsansässigen ukrainischen Familien.

Während die Romakinder in der Kita betreut werden, werden die Romafrauen angeleitet und beschäftigt im Gemüsebau für den Verkauf auf dem örtlichen Markt, und die Roma-Männer in der Landwirtschaft und im Bau. Die Pandemie hat auch hier in der Westukraine tiefe Spuren hinterlassen: Es fehlt die Kaufkraft, weil die Leute keine Arbeit mehr haben. Neu könnte mit Gebraucht-Computern ein neues Betätigungsfeld geschaffen werden.

Was bringt die Zukunft?

Die Sammelaktion im Riethüsli ist eine Erfolgsgeschichte – vor allem dank Heidi. Doch auch wenn sie voller Energie und Zuversicht ist für den Weiterbestand des Projektes, hat sie einige Bedenken für die nächsten Jahre. Die Helfer*innen der ersten Stunde sind lange nicht mehr alle dabei und was fehlt, sind neue, tatkräftige Hände, welche anpacken und unterstützen wollen. Eine neue Generation muss her – gemeint ist meine. Ich erweitere die Suche nach Helfer*innen um ein weiteres Kriterium: Während bis anhin (mit wenigen Ausnahmen) vor allem Frauenhände eingepackt und verschnürt haben, hoffe ich, dass auch junge und jüngere Helfer den Weg zur nächsten Sammlung finden werden:

Am Samstag, 13. November 2021 wird ab 10 Uhr auf dem Schulhausplatz Riethüsli wieder verpackt und geladen, was das Zeug hält. Kommst du auch?

Motivatorin mit künstlerischem Auge

Die Sammlung für benachteiligte Menschen in Osteuropa ist nur eines der Betätigungsfelder von Heidi Kundela. Die Ergotherapeutin und versierte Referentin aus Oberhofstetten hat ein grosses Herz, speziell für Kinder, für soziale Anliegen, für das Quartier. So gehört sie seit dem Start des Quartiertreffs NestPunkt zur Betriebsgruppe und schafft es mit ihrer ansteckenden Begeisterung immer wieder, genügend Freiwillige für den Service, für das Kuchenbacken und fürs Suppekochen zu motivieren. 

Zusammen mit ihrem Mann Franz engagiert sie sich für verschiedene soziale Projekte und unterstützt Menschen auf der Schattenseite des Lebens. Und findet neben all dem immer wieder mal Zeit für ihre Leidenschaften: das Veloreisen, Wandern, das naturnahe Gärtnern rund um ihr Haus sowie das Aquarellieren.

Ihre duftigen Werke zierten vor zwei Jahren die lindgrüne Wand im NestPunkt. Den Erlös aus dem Kartenverkauf spendete sie wie selbstverständlich für einen guten Zweck. EG

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